Foto: Sebastian Dreher

Ursprünglich hatte ich für mein Leben nach dem Abitur andere – wenn auch nicht in Stein gemeißelte – Pläne. Bis dahin fehlte mir allerdings auch die Vorstellung davon, wie sehr ich unwissentlich schon immer der Philosophie verbunden war. Bereits während meiner Schulzeit trieben mich ständig Fragen um, die auf (un-)logische Zusammenhänge, (in-)kohärente Argumentationen oder ethische Dilemmata abzielten. Aber erst als ich eher durch Zufall die erste Philosophie-Vorlesung hörte, wurde mir bewusst, dass ich mit den Fragen, die mich bereits mein Leben lang begleiteten, offensichtlich nicht allein und in der Philosophie am richtigen Ort gelandet war. Zwar wusste ich nicht, wohin mich das Studium der Literaturwissenschaften und Philosophie später führen würde, doch es fühlte sich richtig an.

Mit Blick auf die Ungewissheit des Berufsweges einer Philosophin arbeitete ich während meines Studiums als Journalistin und für verschiedene Medienunternehmen. Hier begegnete ich ständig neuen ethischen Fragen, die mir jedoch niemand zufriedenstellend beantworten konnte und ich beschloss, mich damit auseinandersetzen zu müssen, bevor ich den Weg als Journalistin oder „Medienmacherin“ weiter bestreiten könnte.

Das Thema meiner Dissertation „Menschenwürde und Reality TV – ein Widerspruch?“ entwickelte sich aus meinen Erfahrungen in einer TV-Produktionsfirma. Der Vorwurf, Reality TV-Formate verletzten die Menschenwürde, steht spätestens seit der ersten Ausstrahlung von Big Brother Ende der 1990er Jahre im Raum. Und dass seitdem noch einige deutlich fragwürdigere Formate auf der Bildfläche erschienen sind, steht wohl außer Frage. Wie konnte das jedoch möglich sein, wenn wir die Menschenrechtserklärung und das Grundgesetz, die den Schutz der Menschenwürde als oberstes Gebot postulieren, ernstnehmen? Gleich zu Beginn meiner Recherche stellte sich heraus, dass schon der Begriff der Menschenwürde bei diesen Überlegungen ein großes Problem darstellt. Was ist unter Würde zu verstehen? Woher kommt sie? Ist sie angeboren oder muss sie erworben werden? Und wie kann ihre Zuschreibung zum Menschen begründet werden? Diese Fragen galt es zu klären, um sich anschließend möglichen Antworten auf die Frage nähern zu können, ob Reality TV-Formate die Würde des Menschen verletzen. Abgeschlossen wurde das Projekt mit meiner Disputation im Februar 2020, als ich als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehr- und Forschungsgebiet Angewandte Ethik der RWTH Aachen angestellt war.

Mein zunächst am Lehrstuhl für Wissenschaftstheorie und Technikphilosophie der RWTH Aachen begonnenes und nun an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel fortgeführtes Habilitationsprojekt widmet sich einer Problemstellung, die grundsätzlich am ehesten dem Feld der Moralepistemologie zuzuordnen, aber auch für Medien-, Informations-, Kommunikations- und Bildungsethik relevant ist. Im Fokus steht hierbei die Frage, welche Informationen welche Wissensvermittler warum und auf welche Weise aufbereiten sollten und welche Pflichten zur Informationsbeschaffung aus welchen Gründen möglicherweise auf Seiten der Empfängerinnen und Empfänger zu sehen sind. Damit verknüpft das Projekt Aspekte der Ethik mit Fragen der Erkenntnistheorie.

Ein weiterer Lehr- und Forschungsschwerpunkt liegt auf der ökologischen Ethik und hier insbesondere auf tierethischen Fragestellungen. Gemeinsam mit Prof. Dr. Kellerwessel arbeite ich derzeit an einem Buch, das sich mit Überlegungen zur praktischen Anwendbarkeit der Tierethik Peter Singers auseinandersetzt. Mit ihm und Prof. Dr. Simone Paganini gemeinsam habe ich das Center for Human-Animal-Studies Aachen (CHASA) gegründet, in dem es uns gelungen ist, Vertreterinnen und Vertreter sowohl der Sozial- und Geistes- als auch der Natur-, Human- und Ingenieurwissenschaften in einen gemeinsamen Diskurs zum Mensch-Tier-Verhältnis zu führen. Eine große Herausforderung hierbei ist nicht nur, die unterschiedlichen Perspektiven auf die Thematik nachzuvollziehen, sondern auch eine gemeinsame Sprache zu finden. Derartige interdisziplinäre Projekte zu gesellschaftsrelevanten Themen halte ich für äußerst wichtig.

Damit diese gelingen können, ist neben der Offenheit und dem Interesse für andere Fachbereiche auch eine gute grundlegende Ausbildung notwendig. Meine in der Regel von interdisziplinären Studierenden besuchten Lehrveranstaltungen versuche ich aus diesem Grund besonders lebendig zu gestalten. Um das Interesse für philosophische Diskurse in der Gesellschaft zu wecken, halte ich zudem regelmäßig Vorträge in Schulen und außeruniversitären Bildungseinrichtungen. Und auch hier fällt mir immer wieder auf, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Veranstaltungen – auch wenn die Diskussion oder die Thematik noch so strittig ist – sich begeistert zeigen, wenn sie feststellen, dass sie mit ihren Fragen nicht allein sind und sich wissenschaftlich damit auseinandergesetzt wird – in der Philosophie.

Kontakt: Dr. phil. Carmen Krämer, Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Dozentin an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel am Lehrstuhl für Praktische Philosophie (Prof. Dr. Ludger Heidbrink) angestellt.

Webseite: https://www.philsem.uni-kiel.de/de/lehrstuehle/praktische-philosophie/dr-carmen-kraemer