Sexuelle Belästigung

Der Begriff der sexuellen Belästigung ist relativ neu, er entstand erst in den 1970er Jahren und entwickelt sich bis heute weiter. Sexuelle Belästigung kann von Personen jeden Geschlechts ausgehen, genauso wie Personen jeden Geschlechts von ihr betroffen sein können. Häufig spielen Machtstrukturen eine erschwerende Rolle, entsprechend liegt der Diskussionsschwerpunkt auf der Belästigung von Studierenden durch das Lehrpersonal. Es ist aber wichtig, sich bewusst zu machen, dass sexuelle Belästigung nicht ausschließlich innerhalb eines Machtgefälles und auch gegenläufig des Machtgefälles stattfinden kann. Sexuelle Belästigung kann zwischen allen Mitgliedern eines Instituts geschehen. Institute sollten deshalb Fälle von sexueller Belästigung zwischen oder innerhalb aller am Institut vertretenen Gruppen, d.h. Lehrpersonen, Studierenden und administrativen Angestellten, mit gleicher Ernsthaftigkeit behandeln, da solche Vorkommnisse in allen Gruppen extrem negative Effekte haben können, sowohl für die betroffene Person als auch die Institutskultur. Institutsmitglieder sollten sich auch bewusst sein, dass sexuelle Belästigung oft mit anderen Aspekten wie der Herkunft, Religion, Klasse oder Behinderung zusammenhängt und durch diese mitbeeinflusst wird.

Unter den Begriff der sexuellen Belästigung fallen geschlechtsbezogene herabwürdigende Verhaltensweisen, zum Beispiel folgender Art:

  • sexuell herabwürdigender Sprachgebrauch
  • von den Betroffenen unerwünschte Bemerkungen sexuellen Inhalts
  • entwürdigende Bemerkungen über Personen, ihr Äußeres, ihre Körperlichkeit, ihr Verhalten, ihr Intimleben
  • Gesten und nonverbale Kommentare mit sexuellem Bezug
  • verbale, bildliche und elektronische Präsentation pornographischer oder sexistischer Darstellungen
  • unerwünschter Körperkontakt und unerwünschte Einladungen zu sexuellen Handlungen
  • jegliche Form der sexuellen Nötigung

Ein Grund dafür, dass Institute häufig davon ausgehen, dass es bei ihnen keine/kaum Belästigung gebe und entsprechend auch keine Maßnahmen zur Prävention ergreifen, besteht darin, dass dabei von einem zu engen Begriff von sexueller Belästigung ausgegangen wird bzw. Belästigung mit Nötigung verwechselt wird. Viele Leute denken bei sexueller Belästigung ausschließlich an manifeste körperliche Übergriffe. Fälle dieser Art gehören jedoch eher zu dem Bereich, in dem Belästigung anfängt, Nötigung zu werden. Sexuelle Nötigung ist eine Straftat. Wegen sexueller Nötigung wird bestraft, wer andere mit Gewalt, Drohung oder durch Ausnutzung einer schutzlosen Lage zu sexuellen Handlungen nötigt. Als Straftat fällt die sexuelle Nötigung primär in den Zuständigkeitsbereich von Polizei und Gerichten. Sexuelle Belästigung hingegen ist ein Fall von Diskriminierung, wie sie in Deutschland im allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) definiert wird. Im AGG werden auch die diesbezüglichen Rechte von Arbeitnehmer_innen gegenüber Arbeitgeber_innen festgeschrieben. Es ist demzufolge der weitgefasste Begriff der sexuellen Belästigung für den universitäre Institute als Arbeitgeber und Ausbildungsstätten zuständig sind. Sie tragen die Verantwortung dafür, ein Umfeld zu schaffen, das sexueller Belästigung aktiv entgegenwirkt.

Derzeit gibt es keine solide empirische Grundlage, auf der sich das Ausmaß sexueller Belästigung an Philosophie-Instituten im deutschsprachigen Raum ermessen lassen könnte. Es lässt sich aber die etwas besser erschlossene Lage in den USA zum Vergleich heranziehen.

Die Situation am Institut: Strategien
Eine große Institution wie die Universität verfügt für gewöhnlich über eine eigene Anlaufstelle für sexuelle Belästigung und in diesem Zusammenhang auch über eine eigene Definition von sexueller Belästigung. Institutionelle Definitionen von ‚sexueller Belästigung’ unterscheiden sich stark voneinander. Einige institutionelle Definitionen fokussieren beispielsweise ausschließlich auf explizite sexuelle Anspielungen und sexualisierte Verhaltensweisen, während andere auch nicht-sexuelle Inhalte umfassen, welche etwa die Diskriminierung aufgrund von Geschlecht befördern. Institutsmitglieder sollten die an ihrer Universität gängige Definition von sexueller Belästigung unbedingt kennen und auch mit der Stelle, an die man sich bei sexueller Belästigung wenden kann, vertraut sein, um gegebenenfalls handlungsfähig zu sein. Hier hört ihre Verantwortung aber nicht auf. Überall dort, wo sexistisches oder sexualisiertes Verhalten geschieht und toleriert wird, trägt dies zu einem abweisenden Umfeld bei. Aus diesem Grund sollte jedes Institut Präventivmaßnahmen treffen und die einzelnen Mitglieder ausreichend über diese informieren. Dazu ist das Engagement der einzelnen Mitglieder gefragt.

Prävention: Strategien
Sexuelle Belästigung zu verhindern ist die Aufgabe aller Personen an einem Institut. Das heißt: Diejenigen, die von sexueller Belästigung betroffen sind, haben nicht die primäre Verantwortung dafür, sexuelle Belästigung zu verhindern. Sexuelle Belästigung zu verhindern ist vor allem Aufgabe derjenigen Personen, die an einem Institut fest angestellt sind und dieses leiten.

Alle Mitglieder des Instituts sollten von den leitenden Personen eines Instituts auf die Richtlinien bezüglich sexueller Belästigung an ihrer Universität aufmerksam gemacht werden. Im Besonderen sollten sie diejenige Definition von sexueller Belästigung kennen, welche an ihrer Universität gilt, und zudem auch wissen, wer in solchen Fällen zu kontaktieren ist. Darüber hinaus sollten sie auch wissen, wer in der Position ist, eine Beschwerde anzubringen (im Allgemeinen und im Gegensatz zum weit verbreiteten Glauben muss der/die Beschwerdeführer_in nicht das Opfer sein). Sie sollten auf formelle und informelle Maßnahmen aufmerksam gemacht werden. Leitende Personen eines Instituts sollten diese Informationen bei Einstellungen und bei der Begrüßung neuer Studierender kommunizieren.

Professorinnen und Professoren: Strategien
Professor_innen tragen für die Schaffung eines Institutsklimas, das sexueller Belästigung entgegenwirkt, eine besonders große Verantwortung. Sexuelle Belästigung geschieht häufig dort, wo diejenigen, denen sexuelle Belästigung widerfährt, aufgrund einer hierarchisch untergeordneten Stellung erschwerte Bedingungen haben, sich gegen Grenzüberschreitungen zu wehren. Professor_innen sollten sich dementsprechend ihrer Machtposition bewusst sein und verantwortungsvoll mit ihr umgehen. Dies umfasst weit mehr als lediglich selbst nicht übergriffig zu werden. Dazu gehört auch „den Ton im Institut vorzugeben“, das heißt, sensibel dafür zu sein, dass in den eigenen Veranstaltungen und bei Konferenzen, Workshops und Abendveranstaltungen zum Beispiel keine sexistischen Kommentare fallen und generell keine sexuelle Belästigung stattfindet, diesbezüglich ein offenes Ohr für Mitarbeiter_innen und Studierende zu haben und bei Belästigungsvorfällen unmittelbar aktiv zu werden (zum Beispiel, indem eine Verwarnung ausgesprochen wird oder einem/einer Gastredner_in mitgeteilt wird, dass dieses Verhalten am Institut nicht geduldet wird etc.).

Besonders im außeruniversitären Kontext (wie etwa bei Abendessen) müssen Professor_innen bedenken, dass sich institutionalisierte Hierarchien in solchen Kontexten (wie etwa nach ein paar Bier) nicht auflösen. Solche Anlässe sind genauso wenig Ort für anzügliche Bemerkungen wie das Seminar und es gilt nicht nur, diese selbst zu vermeiden, sondern auch darauf zu achten, dass die anderen Anwesenden sich nicht übergriffig verhalten.

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: Strategien
Für Mitarbeiter_innen gilt zunächst ähnliches wie für Professor_innen. Auch sie sind in einer verantwortungsvollen Position und auch sie befinden sich in der institutionellen Hierarchie oberhalb der Studierenden, was Grenzüberschreitungen begünstigt und deshalb Sensibilität verlangt.

Auch Mitarbeiter_innen tragen die Verantwortung dafür, dass in ihren Seminaren keine sexuellen Übergriffe verbaler oder sonstiger Natur vorkommen. Genauso sollten sie darauf auch bei von ihnen organisierten Veranstaltungen mit Gästen achten und bei Abendveranstaltungen und ähnlichen Anlässen darauf bedacht sein, dass gerade dort, wo Arbeit und Freizeit ineinander übergehen, immer noch gilt, dass Belästigungen jeder Form zu vermeiden sind.

Gleichzeitig sind Mitarbeiter_innen gegenüber Professor_innen natürlich auch in einer Abhängigkeitssituation, die es häufig schwierig macht, Kritik zu äußern und gegen Belästigung vorzugehen. Die Verantwortung, Kolleg_innen und Studierende bei Belästigungen durch Professor_innen zu unterstützen, bleibt aber bestehen. (Einige Handlungsoptionen werden im weiteren Verlauf genannt.)

Studierende: Strategien
Studierende stehen nicht in der gleichen Verantwortlichkeit wie die Lehrenden an einem Institut, schon allein deswegen nicht, weil ihnen nicht dieselben Handlungsoptionen zur Verfügung stehen wie Mitarbeitenden (z.B. Verwarnungen auszusprechen). Es gibt aber viele Situationen, in denen auch ihr Engagement gefragt ist. Sexuelle Belästigung kommt in der Regel nicht nur durch das Fehlverhalten einer einzelnen Person zustande, sondern wird strukturell durch das Wegschauen oder stille Zustimmen aller begünstigt. Es gibt viele Verhaltensweisen, durch die man zum strukturellen Erhalt von sexueller Belästigung beitragen oder ihr eben entgegenwirken kann. Dies beginnt bereits beim Lachen oder eben Nicht-Lachen bei sexistischen Witzen (siehe unten).

„Beteiligte Dritte“: Strategien
Auf allen Ebenen der Hierarchie kann man in Situationen kommen, in denen man Zeuge oder Zeugin von sexueller Belästigung wird oder sogar zur Mittäterin / zum Mittäter gemacht wird, wie etwa wenn man anzügliche Bemerkungen eines Professors gegenüber einer Studentin mitbekommt oder wenn man solche Bemerkungen über einen Referenten während eines Vortrags zugeraunt bekommt. In solchen Situationen gibt es verschiedene Möglichkeiten und Strategien.

a) Minimalanforderungen
Es ist spontan natürlich häufig schwierig, „richtig“, beherzt und couragiert zu reagieren. Das absolute Minimum ist aber, bei sexistischen Witzen nicht zu lachen, anzügliche Bemerkungen in keiner Weise gutzuheißen, sondern im Gegenteil zumindest abwertend die Augenbrauen zu heben o.ä. Auch sollte man einer Person, die belästigt worden ist, nicht zu verstehen geben, dass es keinen Grund zur Aufregung gebe, sondern sie ggf. unterstützen. Die von sexueller Belästigung Betroffenen machen häufig die Erfahrung, dass andere, wenn sie ihnen von dem, was ihnen passiert ist, erzählen, zunächst ungläubig reagieren, die Tat relativieren oder kleinreden. Dies trägt maßgeblich zu einem Klima bei, in dem sexuelle Belästigung zur Normalität wird. Es ist deshalb wichtig, Vorwürfe immer ernst zu nehmen und mit der betroffenen Person gemeinsam nach Maßnahmen zu suchen. Kurz: Die Minimalanforderung an alle Mitglieder eines Instituts ist es, nicht selbst aktiv zu einer begünstigenden Situation beizutragen, in der Täter_innen sich bestärkt und Betroffene sich nicht ernst genommen und isoliert fühlen. Es gibt keine unbeteiligten Dritten.

b) Maximal wünschenswert

  • Eine sexuelle Belästigung im Moment, in dem sie passiert, benennen und als unangemessen herausstellen, z. B. direkt darauf hinweisen, dass ein Witz unangemessen ist oder eine Bemerkung anzüglich.
  • Auf den Institutskonsens bezüglich sexueller Belästigung verweisen. Das Verhalten unterbrechen. Wenn eine Person belästigt wird, sollte direkt und in der Situation eingeschritten werden.
  • Eine betroffene Person öffentlich unterstützen. Eine unangemessene Bemerkung muss nicht immer nur von der beleidigten Person angekreidet werden. Alle Anwesenden können und sollten sich äußern. Im besten Falle gerät so die Person, welche die Beleidingung ausgesprochen hat, in die Defensive.
  • Körpersprache benutzen, um Ablehnung auszudrücken.
  • Mit Betroffenen sprechen, Solidarität ausdrücken und gemeinsam Handlungsstrategien suchen.
  • Hierarchisch höherstehende Personen in die Verantwortung nehmen.

Was tun, wenn sexuelle Belästigung vorgefallen ist?

Als betroffene Person kann man

  • Mitarbeiter_innen ansprechen
  • sich an die Frauenbeauftragte wenden
  • sich an die Personalabteilung wenden
  • sich an die Vizepräsident_in Abteilung Lehre und Studium wenden
  • sich an die Abteilung Angelegenheiten der Studierenden wenden
  • den Wachschutz informieren

Als Ansprechpartner_in kann man

  • mit der betroffenen Person sprechen[3]
  • Danach fragen, was man tun soll und was nicht
  • mit der beschuldigten Person sprechen
  • Vorfall melden

Mögliche Einwände und Entgegnungen

Fußnote:

^3 Für weitere Information, siehe die Leitfaden von Universität Wisconsin-Madison.