Lisa Herzog
Lisa Herzog

Hallo aus Kalifornien! Dieses Jahr bin ich Postdoctoral Fellow am Center for Ethics in Society, in einem großartigen Programm für politische Philosophie, das besonders für Leute mit Interesse an interdisziplinären Fragestellungen spannend ist. Von Haus aus bin ich Ökonomin und Philosophin, mit einer Promotion in politischer Theorie, und in letzter Zeit zunehmend soziologischen Interessen.

Ich habe in München und Oxford studiert und anschließend in Oxford als Rhodesscholar promoviert. Anschließend habe ich an der TU München und der Universität St. Gallen gearbeitet, mit einem kurzen Aufenthalt an der KU Leuven. Seit 2013 arbeite ich an der Uni Frankfurt an einem Projekt, das am Exzellenzcluster „Normative Ordnungen“ und am Institut für Sozialforschung angesiedelt ist, und zu dem ich nach dem Aufenthalt in Stanford zurückkehren werde.

Mich haben immer schon Fragen sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Ordnungen interessiert – vielleicht, weil ich an der deutsch-tschechischen Grenze aufgewachsen bin und nach dem Mauerfall einen nachhaltigen Eindruck davon bekommen habe, wie stark unterschiedliche Wirtschaftssysteme Länder prägen können. Daher lag ein Studium der Volkswirtschaft und Philosophie nahe, obwohl ich auch mit Physik geliebäugelt hatte. Während des Studiums habe ich lange damit gekämpft, wie die abstrakten Modelle der Ökonomie sich jemals mit den Fragen nach Gerechtigkeit oder Freiheit zusammenbringen lassen könnten – sie schienen vollkommen unterschiedliche „Sprachen“, in unterschiedlichen wissenschaftlichen Paradigmen, zu sprechen. Schließlich entdeckte ich die Geschichte des ökonomischen Denkens als Ausweg. Sie half mir nicht nur, zu verstehen, wo die heute verwendeten ökonomischen Modelle herkommen und wie verschiedene blinde Flecken entstanden sind, z.B. in Bezug auf ungleiche wirtschaftliche Macht. Die Geschichte ökonomischen Denkens ist auch auf höchst interessante Weise mit der Geschichte politischen und philosophischen Denkens verwoben. Meine Doktorarbeit schrieb ich schließlich über Smith und Hegel und ihr Verständnis des Marktes. Ich diskutiere darin, wie verschiedene Bilder des Marktes sich zu zentralen Fragen der politischen Philosophie wie Gerechtigkeit, Freiheit oder dem Verhältnis von Individuum und Gesellschaft verhalten.

Allerdings hat mich während meiner während der Doktorarbeit immer wieder die Frage umgetrieben, wie Philosophie sich mit Fragen der Gerechtigkeit im sogenannten „echten Leben“ beschäftigen kann, und wie sie vielleicht auch etwas zur Verbesserung beitragen kann. Ich hatte überlegt, später im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit zu arbeiten, aber mehrere Praktika (in Argentinien und Marokko) haben mich davon überzeugt, dass an vielen Stellen auch theoretische Arbeit sinnvoll und nötig ist und ich mich dort besser einbringen kann. Nach Abschluss der Promotion, die 2013 bei OUP erschienen ist Inventing the Market. Smith, Hegel, and Political Theory), habe ich meine Forschung in zwei Bereichen ausgeweitet. Zum einen habe ich mich systematischen Fragen zur Rolle von Märkten zugewandt. Es war ein Glücksfall, in das Projekt in Frankfurt einsteigen zu können, in dem es um „Moralische Akteure auf dem Finanzmarkt“ geht. Seit ca. zwei Jahren beschäftige ich mich mit Fragen nach der Struktur von Finanzmärkten, den Möglichkeiten ethischen Bankings, und der Verantwortung von Individuen und Firmen. Durch den Praxispartner des Projekts, eine Bank im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit, kann ich auch meine empirische Neugier weiter befriedigen.

Zum anderen hat mich das Nachdenken über Märkte davon überzeugt, dass nicht alle moralischen Probleme, die wir derzeit im Wirtschaftssystem sehen, an Märkten liegen. Ein zweites Problem ist, das die Akteure in Märkten oft Individuen in Organisationen sind, die dort nicht frei nach ihren moralischen Prinzipien handeln können, sondern als die berüchtigten „Rädchen im System“ agieren. Ich fing an, mir Fragen nach individuellen Pflichten in beruflichen Rollen zu stellen. Und da ich selbst nur sehr kursorische Erfahrungen mit Organisationen gemacht hatte, begann ich, andere Leute nach ihren Erfahrungen zu befragen. Ich führte über dreißig qualitative Interviews durch, und las mich in soziologische, psychologische und ökonomische Theorien über Organisationen ein. Derzeit arbeite ich daran, dieses Material in einer Monographie über „Ethisches Handeln in Organisationen“ zu verarbeiten. Dieses Feld hat die praktische Philosophie bislang ziemlich vernachlässigt, was wahrscheinlich daran liegt, dass es genau in die Kluft zwischen politischer Philosophie und Moralphilosophie fällt. Von daher gibt es in diesem Bereich viele theoretisch spannende und gleichzeitig lebensnahe Fragen zu bearbeiten.

Außerdem schreibe ich regelmäßig für ein breiteres Publikum, u.a. mit dem Buch Freiheit gehört nicht nur den Reichen. Plädoyer für einen zeitgemäßen Liberalismus (C.H.Beck, 2014). Ich sehe den Dialog mit Nicht-Philosoph*innen als wichtigen Bestandteil praktischer Philosophie. Für genauso wichtig halte ich, dass praktische Philosophie mit den Sozialwissenschaften zusammenarbeitet. In letzter Zeit interessiert mich besonders, wie interpretative Methoden uns neue Einsichten über die Strukturen von Moral und Gerechtigkeit liefern können. Hinter dieser Überzeugung stehen meine links-hegelianischen Überzeugungen darüber, dass ethische Normen in konkreten Institutionen und Praktiken gelebt werden. Das heißt nicht, dass nicht auch abstrakte, konzeptionelle Arbeit nötig wäre, nicht zuletzt, um eine kritische Perspektive auf existierende Praktiken beibehalten zu können – das ist meine eher kantische (bzw. hegel-kantisch-gelesene) Seite. Der Trend hin zu „nicht-idealer“ Theoriebildung in der angelsächsischen politischen Philosophie knüpft, ohne sich immer dessen bewusst sein, an ältere Ideen zum Zusammenhang von Philosophie und Sozialwissenschaften aus der Frankfurter Tradition an. Nicht zuletzt deshalb freue ich mich, in diesen verschiedenen Kontexten arbeiten zu können.