Ich bin seit 2013 Juniorprofessorin für Neurophilosophie am Institut für Philosophie der Universität Magdeburg. Mich hat schon immer interessiert, welche Antworten unterschiedliche Disziplinen auf die Frage nach dem Wesen des Menschen geben können. Entsprechend habe ich Humanbiologie, Neurowissenschaften und Philosophie zuerst in Marburg, dann in Magdeburg und Neapel studiert. Anschließend habe ich mit einem Stipendium der Studienstiftung an der Humboldt-Universität zu Berlin und der Berlin School of Mind and Brain promoviert. Dabei habe ich allerdings die Hälfte meiner Promotionszeit als Gaststudentin am Department of Linguistics and Philosophy am MIT (USA) verbracht. Nach meiner Promotion war ich von 2010 bis 2013 als Fellow am Department for Philosophy, Logic and Scientific Method an der London School of Economics tätig. Gleichzeitig war ich dort stellvertretende Direktorin des Forum for European Philosophy.
Meine Forschungsschwerpunkte liegen in der analytischen Philosophie des Geistes und der Philosophie der Kognitionswissenschaften, ich interessiere mich aber auch für die Sprachphilosophie sowie für phänomenologische Ansätze und für den deutschen Idealismus. Im Zentrum meiner Forschung stand bislang vor allem das Thema Selbstbewusstsein, verstanden als die Fähigkeit, sich seiner selbst gewahr werden zu können. In meiner Dissertation habe ich mich kritisch mit Theorien des sogenannten nicht-begrifflichen Selbstbewusstseins auseinander gesetzt. Ausgehend von dem Problem, dass traditionelle Theorien des Selbstbewusstseins dem Vorwurf der Zirkularität ausgesetzt sind, versuchen Theorien des nicht-begrifflichen Selbstbewusstseins zu zeigen, dass bereits die Gehalte einfacher Wahrnehmungen eine Form von Selbstbewusstsein beinhalten, die dann die Grundlage für komplexere Formen von Selbstbewusstsein bilden können. Dabei verweisen sie bespielsweise auf die Perspektivität der Wahrnehmung. Aufbauend auf Überlegungen aus der Philosophie des Geistes, der Sprachphilosophie und teilweise auch der Phänomenologie argumentiere ich in meinen Arbeiten gegen eine solche Position. Kurz zusammengefasst könnte man meine These dabei so beschreiben, dass wir zwischen dem Haben einer Perspektive einerseits, und dem Wissen darum, dass wir eine Perspektive haben andererseits unterscheiden sollten. Erst letzteres bezeichnet meiner Ansicht nach die Fähigkeit zum Selbstbewusstsein.
Dabei spielt meiner Ansicht nach auch die soziale Kognition eine wesentliche Rolle für das Verständnis des Phänomens des Selbstbewusstseins. Wir werden uns unserer eigenen Perspektive auf die Welt nämlich erst als solcher gewahr (und somit selbstbewusst), wenn wir in der Lage dazu sind, sie mit der Perspektive eines Anderen zu kontrastieren. Selbstbewusstsein und Intersubjektivität sind somit gleichsam zwei Seiten einer Medaille. Ausgehend von dieser Überlegung versuche ich – aufbauend auf Erkenntnissen aus den empirischen Wissenschaften – ein Stufenmodell der Entwicklung von Selbstbewusstsein und sozialer Kognition zu entwerfen.
Auch unabhängig von der Frage nach ihrer Bedeutung für unser Selbstverständnis als selbstbewusste Wesen interessiert mich die Philosophie der sozialen Kognition. Derzeit beschäftige ich mich vor allem mit der Entwicklung von Alternativen zu den klassischen Erklärungsmodellen unserer Fähigkeiten zur sozialen Interaktion. Letztere legen unseren Fähigkeiten zur sozialen Interaktion in der Regel sehr anspruchsvolle begriffliche Fähigkeiten zugrunde, die der Vielfalt der Formen sozialer Kognition nicht angemessen gerecht werden. Ich plädiere daher für einen Pluralismus der Erklärungen unserer sozial-kognitiven Fähigkeiten, der auch nicht-begriffliche Fähigkeiten mit einbezieht.
Allgemein halte ich die Frage, wie nicht-begriffliche Fähigkeiten der Repräsentation zu verstehen und zu charakterisieren sind, für eine spannende Forschungsfrage. Ausgangspunkt der Überlegungen ist dabei, dass gute Gründe dafür sprechen, dass es solche nicht-begrifflichen Fähigkeiten gibt (auch wenn ich Theorien nicht-begrifflichen Selbstbewusstseins kritisch gegenüber stehe). So zeigen etwa Kleinkinder und Tiere Fähigkeiten, die deutlich über das Vorhandensein reiner Reiz-Reaktions-Schemata hinausgehen, und die ein gewisses Maß an Normativität und Rationalität implizieren, die aber dennoch nicht die Komplexität und Generalisierbarkeit begrifflicher Fähigkeiten aufweisen. Doch wie genau sind solche nicht-begrifflichen Fähigkeiten zu verstehen? Mein Ansatzpunkt bei der Beantwortung dieser Frage ist, dass es sich hierbei um Formen des “Wissens-wie” handelt. Erst wenn wir diese besser verstehen, können wir sowohl Fragen nach der Entwicklung spezifisch menschlicher Fähigkeiten als auch Fragen nach den Unterschieden und Gemeinsamkeiten zwischen menschlichen und tierischen Fähigkeiten beantworten.
Als Neurophilosophin interessiert mich schließlich auch die etwas übergreifendere Frage, ob und inwiefern die Neurowissenschaften zu einem besseren Verständnis menschlicher Fähigkeiten (wie etwa der Fähigkeit zum Selbstbewusstsein) und deren Beeinträchtigungen (wie wir sie beispielsweise in psychopathologischen Störungen beobachten können) beitragen können. Grundsätzlich bin ich dabei skeptisch gegenüber reduktionistischen Ansätzen. Gleichzeitig bin ich der Meinung, dass philosophische Theorien offen gegenüber den Erkenntissen der empirischen Wissenschaften sein sollten (und umgekehrt). Deshalb möchte ich in Zukunft – u.a. anhand von konkreten Beispielen, etwa aus der Philosophie der Psychiatrie – vor allem der Frage des meiner Meinung nach noch weitgehend ungeklärten Verhältnisses von personalen und subpersonalen Erklärungsebenen nachgehen.
Neben der philosophischen und interdisziplinären Forschung interessiert mich auch die Frage, wie man Philosophie einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen und als Wissenschaftler in einen Dialog mit der Gesellschaft treten kann. Im Rahmen meiner Tätigkeit für das Forum for European Philosophy in London habe ich zu diesem Zweck regelmäßig öffentliche Diskussionsveranstaltungen mit verschiedenen Formaten organisiert; ähnliches versuchen wir – in kleinerem Rahmen – auch in Magdeburg. Meine Erfahrung dabei ist, dass ein großer Bedarf nach der Beschäftigung mit philosophischen Fragen besteht – unser Fach ist also keineswegs dabei (wie häufig befürchtet wird) an Relevanz zu verlieren; ganz im Gegenteil!
Für weitere Informationen: www.kristinamusholt.wordpress.com