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In unserem täglichen Leben sind moralische Urteile allgegenwärtig. Doch was machen wir eigentlich, wenn wir moralisch urteilen? Treffen wir Aussagen, die wahr oder falsch sein können? Beschreiben wir eine objektive moralische Realität? Oder drücken wir subjektive Gefühle aus?

Seitdem diese metaethischen Fragen in einer Vorlesung während meines Grundstudiums gestellt wurden, haben sie mich nicht mehr losgelassen. Bereits in meiner Magister-Arbeit an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz habe ich mich daher mit den Erfolgsaussichten eines naturalistischen moralischen Realismus befasst, um herauszufinden, ob moralische Tatsachen natürliche Tatsachen sein könnten. Meine eigenen metaethischen Sichten haben sich dann jedoch vor allem in der Auseinandersetzung mit zwei faszinierenden Positionen herausgebildet, die im Zentrum meiner MPhil- und Promotionsstudien an der University of Cambridge standen (dort damals betreut von Simon Blackburn, Hallvard Lillehammer und Matthew Kramer).

Die erste dieser Positionen betrifft den modernen Expressivismus, und damit den Versuch, die objektiven Merkmale des moralischen Diskurses einzufangen, ohne aber der moralischen Sprache eine repräsentationale Funktion zuzuschreiben. Die zweite Position ist die des sogenannten ‚entspannten‘ moralischen Realismus, der meine metaethische Welt gehörig auf den Kopf stellte. Bis zu meiner Zeit in Cambridge dachte ich, ganz auf Linie der ‚metaethischen Orthodoxie‘, dass Aussagen über die Existenz moralischer Tatsachen, die Erlangung moralischen Wissens und die Einstellungsunabhängigkeit moralischer Wahrheiten nicht-moralische, metaphysische und epistemologische Aussagen über den moralischen Diskurs seien. Mit dem entspannten moralischen Realismus traf ich nun aber auf eine Position, die Aussagen zur moralischen Objektivität selbst als moralische Aussagen deutet, welche daher auch durch moralische—und nicht etwa durch robust metaphysische oder epistemologische—Argumente begründet werden müssen.

Heute, als Associate Professor of Philosophy an der Frankfurt School of Finance & Management, verknüpfe ich diesen beiden Ansätze, indem ich die moralische Interpretation und Begründung moralischer Objektivität mit einer inferentialistischen Form des Nicht-Repräsentationalismus kombiniere. ‚Entspannt‘ bin ich daher insofern, als ich die Objektivität der Moral verteidige, gleichzeitig aber argumentiere, dass moralische Objektivität auf ihren eigenen ‚moralischen Füßen‘ stehen muss. Damit sie dies auch erfolgreich tun kann, entwickele ich neue moralische Argumente, die zeigen, weswegen es moralische Wahrheiten und Tatsachen gibt, wir Wissen über diese Wahrheiten erlangen können und diese Wahrheiten einstellungsunabhängig sind. Da ich allerdings nicht ganz so entspannt bin wie andere, bette ich die moralische Interpretation der moralischen Objektivität gezielt in breitere metasemantische und metaontologische Debatten ein, um den entspannten moralischen Realismus vor dem Hintergrund eines inferentialistischen Nicht-Repräsentationalismus systematisch zu begründen und zu motivieren.

Dieses Forschungsprojekt verbindet Metaethik direkt mit normativer Ethik und erfordert die Entwicklung neuer moralischer Argumente auf einer abstrakteren Ebene der moralischen Argumentation. Meine metasemantischen Überlegungen haben zudem zu weiteren Arbeiten zur moralischen Semantik geführt, in denen ich insbesondere die Vereinbarkeit verschiedener metaethischer Positionen mit deontischen Semantiken untersuche.

Darüber hinaus verfolge ich spezifische normative Forschungsprojekte. Insbesondere interessieren mich bestimmte Themen im Überschneidungsbereich von Philosophie und Sozialwissenschaften. Ein Beispiel hierfür sind Fragen, die die moralische Bewertung von kollektiven Handlungsphänomenen betreffen. Aufgrund von Überlegungen zur moralischen Verantwortung und zu moralischem Glück versuche ich zu zeigen, weswegen wir für aggregierte Effekte selbst dann eine moralische Teilverantwortung tragen, wenn unsere individuellen Handlungen keinen Einfluss auf das Auftreten dieser Effekte haben. Ein weiteres Beispiel betrifft diverse Fragen nach Status und Funktion von Rationalität. So interessiert mich in diesem Kontext, wie normative Interpretationen von Rational-Choice-Theorien mit deren Einsatz in empirischen Theorien und bounded rationality-Ansätzen zusammenhängen. Gleichzeitig versuche ich, meine normativen und metaethischen Forschungsbereiche zu verbinden, indem ich beispielsweise im Rahmen der Debatte um die Normativität der Rationalität argumentiere, dass die mangelnde starke Normativität der Rationalität weder überraschend noch beunruhigend sein sollte, sobald wir verstehen, welche metasemantische Funktion das Konzept der Rationalität erfüllt.

Meine breiten und teilweise interdisziplinären Forschungsinteressen hängen auch mit meinem Werdegang zusammen. So habe ich nicht nur Politikwissenschaften und Philosophie an der Universität Mainz studiert, sondern auch als akademische Rätin in politischer Theorie an dem politikwissenschaftlichen Institut der Universität Bamberg geforscht und gelehrt. In der Tat habe ich der Philosophie nach meiner Doktorarbeit sogar kurz den Rücken gekehrt und für ein Policy Research Institute in Cambridge gearbeitet, bevor meine Sehnsucht nach philosophischer Forschung doch zu groß wurde. Da mein politisches Interesse auch und gerade fachpolitische Fragen umfasst, bin ich seit 2016 als Vize-Präsidentin der Gesellschaft für Analytische Philosophie aktiv, um zur Förderung und Vermittlung analytischer Philosophie beizutragen.

Letztlich und insgesamt geht es mir darum, jedenfalls ein bisschen mehr begriffliche Klarheit, argumentative Präzision und analytische Rigorosität in diese Welt zu bringen­­—sie hätte es oft bitter nötig.

Wer sich für weitere Details zu mir und meinen Projekten interessiert, findet auf meiner Website (www.christinetiefensee.org) und meinem PhilPeople-Profil (https://philpeople.org/profiles/christine-tiefensee) weitere Informationen sowie Zugriff auf meine Arbeiten..