Ich habe zur Zeit eine Postdoc-Stelle an der Uni Basel in einem vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) geförderten Projekt zum Thema „Biosemantik und Normativer Pragmatismus“, das am Lehrstuhl für Theoretische Philosophie angesiedelt ist. Die Themen, die uns dort umtreiben, umfassen Überlegungen zu einem weiten und nicht reduktionistisch verstandenen Naturalismus, zu Biosemantik, Philosophie der Verkörperung, Tierphilosophie sowie Emotions-, Selbstbewusstseins- und Begriffstheorien.
Studiert habe ich Philosophie und Literaturwissenschaft in Bielefeld und Berlin. Vor lauter Begeisterung über Berlin und das philosophische Institut an der Humboldt-Universität bin ich dort geblieben, um meine Doktorarbeit bei Dominik Perler zu schreiben. Während dieser Zeit war ich in der Kolleg-Forschergruppe „Bildakt und Verkörperung“ tätig. Dort habe ich mich zum einen intensiv mit der Embodied-Cognition-Debatte beschäftigt und zum anderen mit Kunsthistorikern und Kunsthistorikerinnen die Zusammenhänge von Kunstwerken, ästhetischer Erfahrung und Verkörperung diskutiert. Der Austausch zwischen Philosophie des Geistes und Kunstgeschichte ist äußerst ungewöhnlich. Völlig zu Unrecht, wie unsere gemeinsamen Arbeiten, etwa zu Bildbetrachtung als Affordance-Wahrnehmung oder Zeichnen als kognitiver Praxis im Sinne des Extended-Mind-Gedanken, belegen.
In meiner Doktorarbeit entwickle ich eine Theorie, in der ich Emotionen als verkörperte, handlungsbezogene Repräsentationen beschreibe. Dabei argumentiere ich auf der Grundlage psychophysiologischer Studien, dass Emotionen durch Muster körperlicher Reaktionen konstituiert werden, die evolutionär angelegt sind. Diese Muster sind jedoch in hohem Maße plastisch. Sie bilden sich erst in der sozialen Interaktion zwischen Kleinkind und Bezugspersonen aus und bleiben auch später noch zu einem gewissen Grad änderbar. Emotionen sind demzufolge in der Anlage natürlich; alle Menschen kennen Grundgefühle wie Angst, Ekel und Wut. Die für diese Emotionen konstitutiven Körperkomponenten wie Adrenalinausstoß, angewiderter Gesichtsausdruck oder angespannte Muskeln teilen wir auch mit einigen nichtmenschlichen Tieren, sie entstammen einer evolutionären Geschichte. Diese Geschichte lässt sich aber nicht einfach auf Blut, Schweiß und Tränen reduzieren, sondern muss die semantische und soziale Dimension von Emotionen miterklären können. Emotionen konstituieren eine bestimmte Art der Welterfahrung und die ist fundamental sozial: Emotionen haben eine Bedeutung, sie repräsentieren bestimmte Eigenschaften in der Welt. Angst repräsentiert ein Objekt als gefährlich und Schuld repräsentiert, dass das repräsentierende Subjekt mit einer bestimmten Tat einen sozialen Regelverstoß begangen hat. Das Besondere an diesen Repräsentationen, so meine These, ist, dass sie durch körperliche Reaktionen konstituiert werden: Es handelt sich bei Emotionen um vorbegriffliche Formen bedeutungsvoller Repräsentationen. Die Fähigkeit, durch körperliche Reaktionen Bedeutsames zu erfassen, entstammt in ihrer Grundform der Evolutionsgeschichte, sie erfüllt eine Funktion für den Organismus. Um handlungsbezogene Repräsentationen handelt es sich bei Emotionen insofern, als ihr Gehalt nicht einfach bestimmte Werteigenschaften wie „gefährlich sein“ abbildet, sondern immer gleichzeitig auch eine Handlungsanweisung beinhaltet. Sprachlich formuliert repräsentiert Angst also genaugenommen nicht einfach ein Objekt als gefährlich, sondern etwas als eine zu-vermeidende-Gefahr und Schuld einen wiedergutzumachenden Regelverstoß. Diese recht komplexen und normativ aufgeladenen Gehalte von Emotionen möchte ich aber als Teil unserer sozialen Umwelt, genauer als Affordances im Gibsonschen Sinne verstehen, das heißt als Dinge in der Umwelt eines Organismus, die ihm gewisse Arten von Handlungen ganz unmittelbar anbieten. Wir nehmen Dinge unmittelbar als begehbar, bekletterbar oder essbar wahr, weil sie das tatsächlich sind, zumindest in Relation zu uns. Analog dazu vertrete ich im Bezug auf die Gehalte von Emotionen die ontologische Annahme, dass „gefährlich sein“ und „ein Regelverstoß sein“ r Eigenschaften sind, die bestimmte Objekte in Relation zu uns haben. Wir sind durch eine teilweise evolutionäre und teilweise soziale Lerngeschichte darauf ausgerichtet auf solche Affordances emotional zu reagieren und zwar mit und durch den ganzen Körper. Im Detail entwickle ich diese Theorie in meinem Buch Embodied Emotions. A Naturalist Approach to a Normative Phenomenon (in Arbeit).
Aktuell beschäftige ich mich mit genealogischen Erklärungen im Zusammenhang mit naturalistischen Theorien. Genealogische Erklärungen erklären bestimmte Phänomene oder Begriffe wie gut und schlecht, Gerechtigkeit oder Eigentum aufgrund von Herkunftsgeschichten. Die Evolutionsbiologie erzählt ebenfalls Herkunftsgeschichten, um zu erklären, warum wir über bestimmte Merkmale verfügen. In letzter Zeit sind zahlreiche Theorien erschienen, die zwischen Philosophie, Kognitionswissenschaften und Evolutionsbiologie angesiedelt sind und die kognitiven und moralischen Vermögen des Menschen evolutionär zu begründen suchen (Für eine Auseinandersetzung mit naturalistischen Ansätzen in der Metaethik siehe meine Sammelrezension in der Zeitschrift für philosophische Forschung Das Muttertier am Ursprung der Moral). Mich interessiert an diesen Ansätzen speziell die Frage, welche Rolle genealogische Erklärungen für sie spielen, wie es bei genealogischen Erklärungen um das Verhältnis von Wahrheit und Fiktion bestellt ist und welche Rolle die Zuschreibung von Funktionen für diese Theorien spielt.
Philosophin ist eine durch und durch merkwürdige Profession. Man könnte meinen, dass sie wesentlich das Unnütze mit dem Unangenehmen verbindet, insofern sie dazu anhält anwendungsferne abstrakte Theorien in zahllosen schlecht bezahlten Überstunden auszubrüten. Genauso gut kann man aber auch behaupten, dass eine Philosophin das Nützliche mit dem Angenehmen verbindet, denn bei genauerer Betrachtung wirken philosophische Gedanken bis in den Ethikrat, die Computerlinguistik und die Robotik hinein, was sehr nützlich ist. Als notorische Dilettantin in allen Bereichen hat man als Philosophin gewissermaßen einen Freifahrtschein sich mit Fragen zu beschäftigen, die Ethik, Linguistik, Robotik und vieles mehr mit einbeziehen, was sehr angenehm, um nicht zu sagen großartig ist. Philosophie, so verstanden, ist eine theoretische Tätigkeit, die am allerbesten ist, wenn sie einen Dinge neu, anders oder mindestens klarer sehen lässt als vorher – ohne dabei unnötig kompliziert zu sein, denn das sind die Dinge selbst ja schon genug.
Ein solches Erlebnis des neu, anders und klarer Sehens hatte ich das erste Mal, als ich als Schülerin die ersten Kapitel aus Marx’ Kapital gelesen habe. Wert und Ware sind danach nie mehr so normal gewesen wie vorher. Ganz ähnlich hat die Lektüre von De Beauvoirs Das Andere Geschlecht mit einem Schlag die Normalität des Mannseins als komplexes und lang tradiertes gesellschaftliches Konstrukt sichtbar gemacht und damit auch als etwas, das man verändern kann.
Mehr Informationen unter: https://philsem.unibas.ch/en/seminar/personen/hufendiek/