Foto: Uni Heidelberg

Als akademische Rätin am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin liegt mein Schwerpunkt in Forschung und Lehre gegenwärtig im Bereich der Medizin- und Pflegeethik. Die interdisziplinäre Auseinandersetzung mit der Entwicklung und Anwendung biomedizinischer Studienergebnisse sowie neuerer Technologien bietet mir zugleich die Gelegenheit, weiterhin wissenschaftsphilosophische Fragestellungen zu verfolgen. Meine diversen Interessen aus den Bereichen der praktischen und theoretischen Philosophie lassen sich vielleicht am besten unter dem Begriff der Medizinphilosophie zusammenfassen. Gemeinsam ist diesen Bereichen ein stark interdisziplinärer Charakter.

Bis zum Abschluss meiner Dissertation und Wechsel in die Medizinethik stand die theoretische Philosophie im Mittelpunkt meines philosophischen Interesses – während meiner Promotion die Wissenschaftsphilosophie, in meinem vorhergehenden Studium vor allem die Kant‘sche Erkenntnistheorie. Mein Studium der Philosophie und Ethnologie habe ich an der Universität Heidelberg mit einer Magisterarbeit zum intellektuellen Existenzbewusstsein bei Kant abgeschlossen. Die Kant’sche Kritik des menschlichen Erkenntnisvermögens, insbesondere der teleologischen Urteilskraft, hat einen nachhaltigen Einfluss auf mein Denken und meine Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen sowie biomedizinischen Fragestellungen ausgeübt.

Im Rahmen meiner Promotion an der Université du Luxembourg und der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg habe ich mich näher mit dem Verhältnis von wissenschaftlicher und alltäglicher Erkenntnis auseinander gesetzt. Mein Dissertationsprojekt war inspiriert von der Frage, ob der Wissenschaft tatsächlich immer ein erkenntnistheoretischer Primat gegenüber den alltäglichen Wissensformen zugesprochen werden muss, oder nicht vielmehr beiden Wissensformen ihre jeweilige Berechtigung zugesprochen werden kann, ohne allerdings in einen erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Relativismus zu verfallen.

Prägend für mein philosophisches Denken war in diesem Kontext die Auseinandersetzung mit dem Methodischen Kulturalismus. Dieser hat im Ausgang vom Methodischen Konstruktivismus der Erlanger Schule einen instrumentalistischen und in der Lebenswelt verankerten Wahrheits- und Wissenschaftsbegriff (weiter)entwickelt. Die im Methodischen Kulturalismus implizierte notwendige Rückbeziehung von wissenschaftlichen Erkenntnissen auf ein lebensweltliches und kulturell (mit)geprägtes Fundament, bietet wertvolle Anknüpfungspunkte für die philosophische Auseinandersetzung mit der biomedizinischen Forschung sowie der medizinischen, pflegerischen und therapeutischen Versorgung von Menschen. Denn letztere haben einen sehr engen Bezug zur menschlichen Lebenswelt.

Die biomedizinische Forschung und die Gesundheitsversorgung nehmen zumeist ihren Ausgang von einer Störung der lebensweltlichen Bezüge des Menschen, z.B. in Form einer Erkrankung oder eines Leidensdrucks. Zugleich sind sie in ihrem telos (Ziel/Zweck) und ihrer praktischen Anwendung auf eine erfolgreiche (therapeutische, diagnostische, präventive, usw.) Intervention in die Lebenswelt einzelner Menschen ausgerichtet, wobei diese Intervention an dem Körper des Betroffenen, seinen Verhaltensweisen oder auch seinem Umfeld ansetzen kann. Ein instrumentalistischer Ansatz, der Wissen an erfolgreicher Praxis festmacht, eignet sich auch deshalb in besonderer Weise für die Anwendung im biomedizinischen Bereich, da der Erfolg einer biomedizinischen Intervention bzw. Technologie sehr stark an den jeweiligen lebensweltlichen Umständen und Zwecken der Betroffenen zu messen ist.

Obwohl ich bereits während meines Studiums und meiner Promotion ein Interesse an interdisziplinären Fragestellungen gezeigt und als Dozentin auch interdisziplinäre Veranstaltungen gemeinsam für Philosoph*innen und Naturwissenschaftler*innen angeboten habe, habe ich in der Medizinethik nochmal eine viel ausgeprägtere Form der Interdisziplinarität kennengelernt. Insbesondere die Vielfalt an angewandten Methoden sticht hier heraus. So beziehe ich in meine Forschung auch empirisch-qualitative Ansätze mit ein. Dabei kommt mir mein Studium der Ethnologie zu Gute, welches mir die Grundlage für eine kritische Reflexion der angewandten Methoden, insbesondere deren Auswirkungen „im Feld“ vermittelt hat. Empirisch-qualitative Forschungsmethoden sind aus philosophischer Sicht hilfreich, um Forschungsdesiderate identifizieren und beschreiben zu können, sowie die eigenen philosophischen Analysen und Begrifflichkeiten gemäß einem instrumentalistischen Wissenschaftsbegriff auf ihre Halt- und Brauchbarkeit hin zu überprüfen.

Dennoch bedarf es immer auch einer argumentativen und begrifflichen Reflexion, die ein zentrales Werkzeug der Philosophie darstellt. Letzteres ist etwas, das mich seit meiner Schulzeit an der Philosophie fasziniert: Dass im Gegensatz zu anderen Disziplinen keine aufwändige Laborausstattung erforderlich ist, um eine Hypothese oder Aussage zu überprüfen, sondern dass dies größtenteils mit den Werkzeugen möglich ist, die jedem direkt zugänglich sind, nämlich die Fähigkeit zum Denken und zur argumentativ-begrifflichen Reflexion.

Meine gegenwärtigen Forschungsschwerpunkte umfassen unter anderem folgende Themengebiete:

  • die Organallokation: Wie sollen die knappen postmortalen Spenderorgane verteilt werden? Wie stark dürfen die Erfolgsaussichten einer Transplantation im Rahmen eines deontologisch fundierten Allokationsmodus einbezogen werden?
  • die Genomeditierung und Reproduktionsmedizin: Welchen moralischen Status hat das menschliche Genom sowie die genetische Verwandtschaft? Inwieweit wirkt die Reproduktionsmedizin normierend auf das reproduktive Verhalten innerhalb einer Gesellschaft?
  • die Digitalisierung der medizinischen und pflegerischen Versorgung: Welche Chancen und Risiken sind mit den unterschiedlichen Formen der Standardisierung (z.B. der Versorgung, der Dokumentation, des Verhaltens von Patient*innen) verbunden, die im Kontext von digitalisierten Anwendungen in der Gesundheitsversorgung diskutiert werden?

Kontakt:

Dr. Nadia Primc, Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Medizinische Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

E-Mail: Primc[at]uni-heidelberg.de

Twitter: @NadiaPrimc

Arbeitsgebiete: Medizin – und Bioethik, Pflegeethik, Wissenschaftsphilosophie; in diesen Bereichen insbesondere ethische Fragen der Organtransplantation, der Reproduktionsmedizin sowie Digitalisierung in Medizin und Pflege; Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen; Ethik des Tierversuches