Veranstaltungen/ Events

In der deutschen Philosophie gibt es nach wie vor viele Netzwerke, die traditionell männlich dominiert sind und sich bisher nicht aktiv um mehr Diversität bemühen. Bei großen Tagungen werden etablierte Professoren häufig bei Wortmeldungen bevorzugt aufgerufen, manchmal werden Frauen sogar systematisch ignoriert. Effektive Mentoring-Strukturen fehlen und viele Frauen wollen bzw. können Probleme mit ihrem (oder wegen ihres) ‚Chefs’ nicht offen diskutieren. Darüber hinaus existieren eine Menge implizite Vorurteile im Bezug auf in der Philosophie strukturell benachteiligte Gruppen, die dazu führen, dass keine Einladungen ausgesprochen oder Redebeiträge weniger ernst genommen werden.

Fehlendes Mentoring und mangelnde Ermutigungen sind besonders aufgrund der Existenz von Mikro-Ungerechtigkeiten problematisch: Das sind an sich unwichtige, subtile und unscheinbare Einzelfälle bzw. Ereignisse, die sich schwierig nachweisen lassen, oft unbewusst passieren und von den Verantwortlichen nicht als solche erkannt werden. Beispiele können sein: von Kolleg_innen den Gastreferent_innen nicht vorgestellt zu werden, von informellen Netzwerken oder Treffen ausgeschlossen zu werden, bei Tagungen kleine ‚Witze’ oder grenzüberschreitende Anmerkungen zu hören zu bekommen, kein oder kaum positives Feedback zu erhalten sowie öffentliche Diskussionen darüber, wer ‚schlau’ ist und wer nicht. Isoliert betrachtet haben solche Erfahrungen keine größeren Konsequenzen, aber laut sozialwissenschaftlicher Forschung[1] haben sie kumulativ eine große Auswirkung auf die Zukunftsperspektiven von Individuen aus strukturell benachteiligten Gruppen.

Einladung & Redner_innenliste: Strategien
Status und beruflicher Erfolg sind derzeit nicht unabhängig von Geschlecht und sozialer Herkunft. Die Chancen für den beruflichen Erfolg sind ungleich verteilt.[2] Bei etwa 50% weiblichen Studienanfängern in Philosophie liegt die Quote an Professorinnen in Deutschland bei etwa 17%. Nicht-weißes Lehrpersonal ist an Philosophie-Instituten im deutschsprachigen Raum die absolute Ausnahme. Bei manch anderen Parametern sieht es nicht besser aus. Intuitiv fällt es den meisten von uns leichter, einen Mann mit bildungsbürgerlichem Auftreten als genialen, wichtigen Philosophen wahrzunehmen als eine Frau aus einem Arbeiterhaushalt. Wenn Status oder Erfolg eine große Rolle dabei spielen, wie Redner_innen ausgesucht und wie eingeladene Redner_innen behandelt werden, diskriminieren wir nicht nur, wir kreieren damit auch ein in fachlicher Hinsicht suboptimales wissenschaftliches Programm. Es lohnt sich also, den Auswahlprozess entsprechend dieser Erkenntnisse zu gestalten.

  • Es wäre wünschenswert, Redner_innen danach auszuwählen, wer interessante Arbeit macht, nicht danach, wie groß ihr Name ist. Die Namen, die einem zuerst einfallen, sind nicht immer diejenigen mit den interessantesten Arbeiten (aus oben genannten Gründen).
  • Frauen einladen. Wer keine kennt, nutze beispielsweise die Liste der deutschsprachigen SWIP oder das UP Directory mit Fokus auf dem englischsprachigen Raum, aber auch vielen Einträgen aus dem deutschsprachigen Raum. Etwas schwerer ist es, auch in anderen Hinsichten auf Vielfalt zu achten (da z.B. soziale Herkunft nicht öffentlich bekannt ist). Teilweise kann auch hier das UP directory helfen.
  • Es ist für die eingeladenen Frauen irritierend, wenn ihnen erzählt wird, dass man sie eingeladen habe, um den Frauenanteil hoch zu halten. Das legt den Schluss nahe, dass sie nicht wegen ihrer Arbeit eingeladen sind.
  • Wir raten dazu, bei der Wahl der Sprecher_innen, zu berücksichtigen, ob allen Teilnehmenden eine unbeschwerte Konferenz ermöglicht wird oder nicht. Dies gilt besonders im Hinblick auf Sprecher_innen, die dafür bekannt sind, andere zu belästigen.
  • Auch bei der Frage, wer wann und wie lange spricht, werden häufig Hierarchien reproduziert (z.B. wenn von zwei Keynote-Sprecher_innen die Frau den schlechteren Platz – an dem weniger Publikum zu erwarten ist – bekommt als der Mann, weil sie den weniger großen Namen hat). Auch hier können unreflektierte Schemata am Werk sein, ohne dass absichtliche Diskriminierung vorliegt. Es lohnt sich, dies bei der Gestaltung des Programms im Auge zu behalten.
  • Wir raten dazu, die Einreichungen aufgrund von Call for Papers anonymisiert zu begutachten.

Organisation: Strategien
In diesem Abschnitt finden sich Anregungen für die Organisation unter folgender Leitfrage: Wie kann ich eine angenehme und gewinnbringende Veranstaltung für alle Interessierten organisieren (und nicht nur für meinesgleichen und meine distinguierten Gäste)?

1. Orga-Team:

  • Verteilung der Pflichten innerhalb der Konferenz-Organisation: welche Hilfskraft/Doktorand_in kocht Kaffee? Wer hat Gelegenheit, die Vorträge zu hören oder mit den Wissenschaftler_innen zu sprechen? Statusunterschiede innerhalb der Hilfskräfte und der Mitarbeiter_innen eines Lehrstuhls sind häufig abhängig von Geschlecht, Herkunft etc., aber selbst wenn sie das nicht sind, spricht viel dagegen, sie zu schaffen.

2. Programm:

  • Das Programm so gestalten, dass es möglich ist, regelmäßig zu essen, zu trinken, die Toilette zu benutzen und sich zurückzuziehen, ohne während eines Vortrags aus dem Raum zu gehen oder Teile des Programms zu versäumen. Auch Schlafmangel sollte nicht Folge der Teilnahme am Programm sein. Dies ist gut für alle, aber nicht für alle gleich wichtig. Es ist besonders wichtig für Menschen, die nicht die Möglichkeit haben, sich voll und ganz auf die Konferenz zu konzentrieren, weil sie mit psychischen oder körperlichen Leiden zu tun haben, Betreuungsaufgaben leisten/koordinieren müssen oder weil die sozialen Anforderungen einer Konferenz für sie höher sind (siehe auch: sexuelle Belästigung, Bedrohung durch Stereotype, Barrierefreiheit, Kinderbetreuung).
  • Speisegewohnheiten (nicht nur der geladenen Sprecher_innen) berücksichtigen. Viele Menschen sind (aus ethischen oder religiösen Gründen) Vegetarier_innen / Veganer_innen. Sagen Sie dem Restaurant, dass Sie einige Vegetarier_innen / Veganer_innen erwarten. Ein Restaurant aussuchen, das mit Unverträglichkeiten und Allergien umgehen kann. Auch eine Möglichkeit: Einschränkungen vorher bei Teilnehmer_innen erfragen und an das Restaurant weiterleiten.

3. Barrierefreiheit:

  • Sich auskennen, wissen, wer Informationen in Bezug auf spezifische Bedürfnisse hat.
  • Veranstaltungsort frei von physischen Hindernissen/rollstuhlgerecht gestalten.
  • Assistenz für Seh- und Hörbehinderte. Ressourcen der Uni kennen bzw. spätestens bei Bedarf kennenlernen. Flexibel auf Bedürfnisse eingehen.
  • Restaurant, das nicht nur frei von physischen Barrieren, sondern auch nicht zu laut ist.
  • Im Aufruf einen Kontakt zu Fragen rund um Barrierefreiheit nennen.

4. Kinderbetreuung:

  • Einige Universitäten bieten einen günstigen und unbürokratischen Betreuungsservice für Veranstaltungen an. Falls es das an Ihrer Universität gibt, Kinderbetreuung auf Wunsch organisieren. Falls es keine Kinderbetreuung an der Universität gibt, kann bei großen Veranstaltungen eine externe Betreuung organisiert werden und bei kleinen Veranstaltungen die Selbstorganisation der Teilnehmenden gefördert werden. Im Aufruf erwähnen, wenn es die Möglichkeit zur Kinderbetreuung gibt.

5. Sexuelle Belästigung:

Verantwortung der Diskussionsleitung: Strategien

  • Nicht immer die bekannten und etablierten Personen als erstes aufrufen. Das führt gewöhnlich dazu, dass weniger Frauen sprechen. Zudem nicht nur Personen aus der ersten Reihe drannehmen.
  • Auch die Big Names (und nicht nur die vermeintlich unwichtigen Personen!) bei mehrmaligen Follow-ups, als Frage getarnten Ko-Referaten, etc. unterbrechen, wenn die Zeit knapp ist.
  • Personen, die auf der Tagung bisher nichts gesagt haben, als erstes aufrufen.
  • Student_innen und Doktorand_innen die ersten Fragen stellen lassen.
  • Pro aufgezeigter Meldung nur eine Frage erlauben, so haben mehrere Personen die Möglichkeit, ihre Frage zu stellen.
  • Gendergerechtes Aufrufen; explizit Philosophinnen die Möglichkeit geben, sich zu äußern.
  • Nach dem Vortrag fünf Minuten Pause machen, so dass alle Zeit haben, sich eine Frage zu überlegen. Dabei ist vor allem wichtig, die Redner_innenliste nicht schon während des Vortrags oder während der Pause zu beginnen.

 

Allgemeine Etikette des guten Diskussionsverhaltens

Es ist im Interesse der vortragenden Personen, wenn Diskussionsbeiträge möglichst konstruktiv gestaltet werden, d.h. z.B. darauf abzielen, neue Möglichkeiten aufzuzeigen, die von der vortragenden Person jeweils verteidigte Position zu stärken. Es empfiehlt sich daher, dass Sprecher_innen diesem Umstand nach Möglichkeit Rechnung tragen – und zwar selbst dann, wenn sie die allgemeinen Hintergrundannahmen der vortragenden Person nicht teilen oder sogar die gesamte Debatte, in der sich die vortragende Person bewegt, für verfehlt halten.

Es ist ratsam, dass alle an der Diskussion Beteiligten ihre Diskussionsbeiträge auf einige wenige Punkte beschränken. Dadurch wird sichergestellt, dass die vortragende Person Gelegenheit hat, auf alle Punkte einzugehen. Zudem wird hierdurch anderen Personen die Gelegenheit gegeben, ihren Beitrag einzubringen und verhindert, dass einige wenige Personen die Diskussion dominieren.

Die Formulierung von Einwänden durch Rückgriff auf ‚drastische Rhetorik‘ (wie z.B. „Das ist doch total unplausibel!“, „Das würde doch niemand für plausibel halten!“, „Das ist doch Unfug/Quatsch/absurd!“ „Wie können Sie das ernsthaft behaupten?“) oder das hartnäckige Insistieren auf einem bestimmten Punkt begünstigt das Entstehen einer feindseligen und aggressiven Diskussionsatmosphäre. Bestimmte non-verbale Signale (wie z.B. ein perplexes, ungläubiges oder entgeistertes Minenspiel, ostentatives Kopfschütteln oder spöttisches Gelächter) können denselben Effekt haben. Eine solche Atmosphäre kann von manchen Diskussionsteilnehmer_innen als sehr unangenehm empfunden werden. Da das Stereotyp für feindseliges und aggressives Verhalten männlich ist, kann eine feindselige und aggressive Diskussionsatmosphäre zudem insbesondere bei weiblichen Diskussionsteilnehmerinnen das empirisch gut belegte Phänomen des „stereotype threat“[3] sowie ein generelles Gefühl des ‚Nicht-Hineinpassens‘ auslösen. Personen, die stereotype threat ausgesetzt sind, werden wiederum, aufgrund der hiermit einhergehenden Stress- und sonstigen negativen Gefühle (Angst, etc.) ihre Diskussionsbeiträge häufig ‚zurückhalten‘. Dies hat zur Folge, dass der Inklusionsgrad der Diskussion verringert wird und sachlich wertvolle Beiträge verloren gehen.

Privatgespräche, die während eines Vortrags oder während der Diskussion nach einem Vortrag geführt werden, können von der vortragenden Person als störend und verunsichernd empfunden werden. Es empfiehlt sich daher, solche Gespräche zu unterlassen (selbst wenn es dabei um die Diskussion inhaltlicher Punkte gehen sollte).

Es fördert die Inklusion, wenn bei sozialen Zusammenkünften im Zusammenhang mit Vorträgen oder Konferenzen (wie z.B. Kneipen- und Restaurantbesuchen nach einem Gastvortrag, Kaffeepausen während einer Konferenz) alle Anwesenden, unabhängig davon, wie weit fortgeschritten diese in ihrer akademischen Karriere sind, in das Gespräch miteingebunden werden. Insbesondere ältere, gut vernetzte Teilnehmer_innen können hierzu einen positiven Beitrag leisten, z.B. indem sie jüngere, weniger gut vernetzte Teilnehmer_innen den anderen Anwesenden vorstellen.

Fußnoten:

^1 Rowe, Mary (2008): “Micro-Affirmations and Micro-Inequities”, in: Journal of the International Ombudsman Association 1. S. 45–48.

^2 Siehe dazu: Hutchison, K., & Jenkins, F. (Eds.). (2013). Women in Philosophy: What Needs to Change? Oxford: Oxford University Press.

^3 Steele, Claude: „A Threat in the Air: How Stereotypes Shape Intellectual Identity and Performance”, in: American Psychologist 52 (1997), S. 613–629.