Nach dem Studium der Philosophie, Geschichte und Literaturwissenschaft an ziemlich vielen Orten (Kiel, Tübingen, Berlin, Cambridge, Potsdam) habe ich Ende 2009 bei Prof. Christoph Menke in Potsdam meinen Magister abgeschlossen.
Der Titel meiner Magisterarbeit, die mittlerweile in überarbeiteter Form im Lukas-Verlag veröffentlicht ist, lautete „Gravitation zum Guten. Hannah Arendts Moralphilosophie“. Ich habe darin einerseits die werkgeschichtliche These vertreten, dass Arendt in ihrem Spätwerk nicht, wie häufig angenommen, als Nachtrag zum Eichmann-Buch weiterhin die Natur des Bösen untersucht, sondern sozusagen neu ansetzt und nach ihrer Kritik des geläufigen Gewissensbegriffs versucht, die Bedingungen des guten Handelns aus einer Phänomenologie der Geistestätigkeiten (Denken, Wollen und Urteilen) abzuleiten. Andererseits war mein Anliegen, systematisch stark zu machen, wie Arendt diese Tendenz oder „Gravitation“ zum Guten konzipiert. Nämlich nicht, wie in der Forschungsdiskussion zumeist unterstellt, lediglich als Ergebnis des denkenden Selbstgesprächs, sondern als Verschränkung von Denken und Urteilen in der Vorstellungskraft.
Nach meinen Abschlussprüfungen hatte ich das Glück, eine Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Prof. Rahel Jaeggi am Lehrstuhl für Sozialphilosophie der Humboldt-Universität zu Berlin antreten zu können. Abgesehen von einem Urlaubssemester 2013/14 als visiting PhD student bei Prof. Raymond Geuss in Cambridge soll dies auch für die absehbare Zukunft meine akademische Heimat bleiben.
Ich habe auf der Stelle zunächst eine Einführung in das Werk von Judith Butler geschrieben, die 2011 im Verlag für Sozialwissenschaft erschien. Das Buch, Zur Aktualität von Judith Butler, hat den Anspruch, Butlers komplexe und z.T. disparate Positionen schlüssig und auch für Einsteiger_innen gut verständlich darzustellen, zudem geht es um einen ausgewogenen Werküberblick, in dem nicht nur die Performativität von Geschlecht, sondern auch die Theorie der melancholischen Subjektwerdung und die jüngeren Schriften zu einer Ethik der Enteignung zur Geltung kommen. Insgesamt versuche ich zu zeigen, inwiefern sich Butlers Gesamtwerk als eine Kritik der „Gewalt vor der Gewalt“ verstehen lässt, d.h. als eine Analyse der versteckten Möglichkeitsbedingungen und Entsprechungen von offener Gewalt.
Zur Zeit arbeite ich an meiner Dissertation, die für eine spezifische Revision des Revolutionsbegriffs argumentiert. Seit sich sowohl empirisch als auch theoretisch die marxistische Annahme der revolutionären Wirkung fortschreitender Produktivkraftentwicklung als zweifelhaft erwiesen hat, wurde in weiten Teilen der Sozialphilosophie von der Theoretisierung radikalen Wandels ganz Abstand genommen. Strukturalistische und poststrukturalistische Ansätze scheinen auf den ersten Blick eher die Beharrungskräfte des Bestehenden als seine Veränderbarkeit auszuweisen. Demgegenüber schlagen in der linken Theorieszene einige „Neo-Kommunisten“ vor, den Begriff des Ereignisses stärker zu betonen als Marx es selbst tat und Revolution als einen radikalen, singulären Bruch mit allem Bestehenden zu konzipieren. Beide Alternativen erscheinen mir problematisch. Deshalb interessiere ich mich für die relativ marginale Tradition prozessualer Auffassungen sozialen Wandels, die weder auf einer teleologischen Geschichtsphilosophie beruhen, noch den mit dem Revolutionsbegriff verknüpften Radikalitätsanspruch aufgeben. Fundorte für diese Vorstellungen sind z.B. das Selbstverständnis der Frauenbewegung und die Konzeptionen von Revolution als Exodus, die von deutsch-jüdischen Anarchisten wie Gustav Landauer und Martin Buber um die letzte Jahrhundertwende entwickelt wurden. In meiner Promotion versuche ich die philosophische Arbeit am Detail zu leisten, um diese Perspektive sozialtheoretisch plausibel zu machen; entscheidende Bausteine sind praxistheoretische Begriffe von Struktur und Handlung, ein performativitätstheoretischer Entwurf von lokaler Transformation und eine geschichtsphilosophische Perspektive auf Wandel als Kumulation und Kulmination diverser Einzelereignisse, die sich erst im Nachhinein so Zusammenschauen lassen, dass „Umschlagspunkte“ oder „Paradigmenwechsel“ erkennbar werden.
Mir selbst gefällt an dem Projekt nicht zuletzt, wie es bestimmten feministischen Einsichten entgegen kommt: Wenn wir Revolution als einen ausdauernden Prozess verstehen, in dem es zunächst darum geht, Alltagspraktiken zu ändern und neue Bezüge herzustellen, rücken bestimmte androzentrische Vorstellungen des heroischen und martialischen politischen Kampfes wie von selbst in den Hintergrund. (Diesen Gedanken führe ich in meinem Aufsatz „Feministische Strategie und Revolution“ weiter aus.)
Insgesamt würde ich sagen, dass ich in meiner philosophischen Arbeit versuche, Letztbegründungs-skeptische phänomenologische Methoden, wie sie etwa von Foucault, vom späten Wittgenstein und vom frühen Heidegger verfolgt werden, mit den Anliegen der klassischen, freudo-marxistischen Kritischen Theorie zusammenzubringen. (Ein gutes Beispiel für diese Synthese- und Sabotage-Arbeit ist mein Artikel „Marx’s Concept of Radical Needs in the Guise of Queer Desire“.)
Neben den bereits erwähnten bisherigen Kernthemen wie Geschichte, sozialer Wandel, Geschlecht und Gewalt spiele ich – wann immer ich mich mit zukünftiger von der gegenwärtigen Arbeit ablenken will – mit dem Gedanken einer Kritik des Eigentumsbegriffs.
Mich fasziniert und irritiert die in der Moderne selbstverständliche (und von Kant und Hegel sogar in ihrem Freiheitsbegriff festgeschriebene) Annahme, dass der Besitz eines Objekts dazu berechtigt, es nicht nur zu benutzen, sondern es auch auszubeuten und zu zerstören.
Über genealogische Forschung zum vormodernen Eigentumsrecht, in dem diverse Mischformen gang und gäbe waren, würde ich zunächst die Spezifität des modernen Begriffs akzentuieren wollen. Für die politische Debatte erschiene es mir bereits als eine Bereicherung, der starren Gegenüberstellung von Privateigentum einerseits und den vermeintlichen Zumutungen von Enteignung und Gemeineigentum andererseits diverse Zwischenstufen modifizierten und limitierten Besitzens beiseite stellen zu können.
Im zweiten Schritt würde ich dann versuchen, normative Potentiale dieser erweiterten Sichtweise auszumachen. Eine Problematisierung des modernen, „totalen“ Eigentumsbegriffs würde es einerseits erlauben, umweltschützerische Anliegen in die Kapitalismuskritik einzubeziehen, andererseits reizt mich das Phänomen aus intersektionaler Perspektive. Bezeichnenderweise handelt es sich sowohl beim Abolitionismus als auch beim Feminismus um Emanzipationsbewegungen, die für den Ausgang aus einem Besitztumsstatus kämpfen. Während in der Kritischen Theorie gegenwärtige sexistische und rassistische Phänomene oft mit dem Begriff der Verdinglichung theoretisiert werden, interessiert mich, welche Differenzierungen und Ergänzungen aus der Perspektive einer Kritik an Besitzergreifungstendenzen hinzugewonnen werden könnten.
Vollständige bibliografische Angaben zu den erwähnten Texten und einige weitere Informationen finden sich auf meiner HU-Homepage: http://www.philosophie.hu-berlin.de/institut/lehrbereiche/politik/jaeggi/mitarbeiter/redecker/eva