Ich bin Anna Welpinghus und arbeite als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Ruhr-Universität Bochum. Dort habe ich auch meine Dissertation geschrieben und im Sommer 2013 verteidigt. Davor habe ich an der Humboldt-Universität zu Berlin Philosophie, Psychologie und Politikwissenschaften studiert. Mein erstes Studium war ein Bachelorstudium in „liberal arts and sciences“ an der Universität Maastricht. Dort konnte ich in viele akademische Fächer hineinschnuppern und dabei mein anhaltendes Interesse an der Philosophie entdecken.
In den letzten Jahren habe ich im Bereich der Philosophie des Geistes gearbeitet. Ich war an einem interdisziplinären Projekt zur Erkennung der Emotionen anderer beteiligt (Newen, Welpinghus & Juckel, im Erscheinen). Allerdings habe ich vor allem zur Frage nach der Natur und dem Ursprung der Emotionen gearbeitet, genauer gesagt zum Verhältnis evolutionärer und sozialkonstruktionistischer Emotionstheorien. Unsere ersten Ergebnisse zu diesem Thema sind in einem Paper von Albert Newen und mir (Welpinghus & Newen, 2012) dargestellt. Die Veröffentlichung meiner Dissertation ist in Arbeit; ein Schwerpunkt des Buchs wird das Verhältnis zwischen Eifersucht, normativen Überzeugungen und sozialen Normen zu romantischen Zweierbeziehungen sein.
Etwas ausführlicher darstellen möchte ich hier einen anderen Schwerpunkt der Dissertation, nämlich meinen Vorschlag dazu, wie der Begriff ’sozial konstruierte Emotion‘ zu verstehen ist. Ganz allgemein besagen sozialkonstruktionistische Theorien, dass Emotionen durch historisch kontingente soziale Faktoren entstanden sind. Dem gegenüber stehen evolutionäre Emotionstheorien, die besagen, dass viele Emotionen evolutionär alt sind und daher in allen menschlichen Gemeinschaften (und vielleicht bei weiteren Tieren) vorkommen.
Der Sozialkonstruktionismus ist gegenüber evolutionären Ansätzen in den letzten Jahren ins Hintertreffen geraten – teilweise durchaus zu Recht. Herkömmliche sozialkonstruktionistische Emotionstheorien konzentrieren sich zu sehr darauf, wie Menschen über Emotionen denken und wie sie Emotionen klassifizieren. Deshalb fordern sie evolutionäre Theorien nicht ernsthaft heraus. Die Beobachtung, dass die Klassifikationsweise des Alltags von kulturellen und sozialen Faktoren abhängt, ist nämlich völlig kompatibel mit der Theorie, dass die Emotionen, die es wirklich gibt, evolutionär alt und universell sind.
Wenn man wie ich den Sozialkonstruktionismus retten will, braucht man also eine neue Konzeption vom Begriff der sozial konstruierten Emotionen. Ich schlage vor, sie als soziale Arten zu betrachten. Dieser Vorschlag ist inspiriert von Sally Haslangers Arbeiten zur sozialen Konstruktion von gender und race.
Mein Vorschlag hat aber auch einiges mit Paul Griffiths‘ psychoevolutionärer Herangehensweise zur Individuierung von Emotionen gemein. Ich betrachte sozial konstruierte Emotionen als eine Sonderform natürlicher Arten. Die Emotionen, die zu derselben natürlichen Art gehören, werden durch mehr zusammen gehalten als durch unsere Klassifikation. Alle Vorkommen von Furcht sind sich ähnlich: Wer sich fürchtet, macht bestimmte physiologische Veränderungen durch, steuert seine Aufmerksamkeit in Richtung Gefahren, reißt die Augen auf, und so weiter. Wenn Furcht eine natürliche Art ist, muss es dafür einen Grund geben. Es muss eine Art kausalen Mechanismus geben, welcher dafür sorgt, dass die Eigenschaften einer natürlichen Art gebündelt auftreten (sowohl Griffiths als auch ich übernehmen hier Richard Boyds Konzeption von natürlichen Arten als homeostatische Eigenschaftsbündel).
Soziale Arten, so mein Vorschlag, sind Produkt eines sozialen Mechanismus. Ein sozialer Mechanismus besteht aus einem Zusammenspiel von Faktoren wie sozialen Praktiken, Normen und sozial reguliertem Zugang zu Ressourcen. Zusammen schaffen solche Faktoren bestimmte Rahmenbedingungen für Handlungen. Diese können eine Emotion mit einem Eigenschaftsbündel entstehen lassen, die es ohne den sozialen Mechanismus so nicht gäbe.
Ich glaube, dass eher wenige Emotionen tatsächlich soziale Arten sind. Jedoch spricht vieles dafür, dass es sie gibt und dass sich zudem das charakteristische Eigenschaftsbündel nicht für jede Emotion durch vererbte Mechanismen erklären lässt. An dieser Stelle widerspreche ich der psychoevolutionären Theorie von Griffiths.
Neben der Arbeit an den Desiderata meiner Dissertation suche ich derzeit nach neuen Projekten. Mich interessieren fruchtbare Verbindungen zwischen der Philosophie des Geistes und den Kognitionswissenschaften einerseits und normativen Zweigen der Philosophie, wie beispielsweise der politischen oder feministischen Philosophie, andererseits. Ich glaube, dass einige Debatten davon profitieren können, diese Perspektiven zusammenzubringen – ein Beispiel ist der Themenkomplex agency, personale Autonomie und Verantwortung.
Ich würde außerdem gerne Fragen nach der Natur sozialer Arten und sozialer Konstruktion unabhängig vom Anwendungsfall der Emotionen auf ein breiteres systematisches Fundament stellen – hier sind wissenschaftstheoretische Werkzeuge ebenso relevant wie sozialkritische Arbeiten.
Spannend finde ich auch philosophische Methoden: ich treibe nun seit einigen Jahren Philosophie, die durch empirische Wissenschaften informiert ist – und ich würde gern verstehen, was genau wir da tun.
Derzeit bin ich auf der Suche nach einer Stelle mit mehrjähriger Perspektive. Noch ist offen, wohin es mich in Zukunft verschlägt, sowohl geographisch als auch thematisch. Jobangebote, sowie Anmerkungen oder Fragen zu meiner Arbeit nehme ich gern entgegen: Anna [dot] Welpinghus [at] rub [dot] de .
Literatur
Newen, A. / Welpinghus, A. / Juckel, G. Emotion recognition as pattern recognition. Erscheint in Mind and Language.
Welpinghus, A. / Newen, A. (2012). Emotion und Kultur: Wie individuieren wir Emotionen und welche Rolle spielen kulturelle Faktoren dabei? Zeitschrift für philosophische Forschung 66(3): 367-392.