Ich bin seit April 2016 Universitätsassistentin in der Technik- und Medienphilosophie bei Mark Coeckelbergh an der Universität Wien. Neben meiner Habilitation zu den Posthumanistischen Elementen in Hannah Arendts Werk und Denken (Arbeitstitel) arbeite ich gerade vorrangig an einer Einführung in den Trans- und Posthumanismus, die im Frühjahr 2018 bei Junius erscheinen wird.
Ich habe 2009 mein Studium der Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin mit einer Arbeit zum Verantwortungskonzept bei Hannah Arendt abgeschlossen. Arendt hat mich vom ersten bewussten Lesen während des Studiums an tief bewegt und mein Denken nachhaltig geprägt. In meiner Masterarbeit, die in überarbeiteter Form im Archiv für Begriffsgeschichte publiziert wird, vertrete ich die These, dass man Arendts Werk mit dem Interpretationsmoment der Verantwortung regelrecht ‚aufschließen‘ kann. Überraschenderweise wurde bislang noch keine umfassende Studie zur Verantwortung bei Arendt angestellt – diejenigen unter den Arendt-Forscher_innen, die sich diesem Phänomen bislang explizit zugewandt haben, betrachten zumeist nur einzelne Ausschnitte aus ihrem Werk. In meiner Arbeit werden chronologisch über 25 Jahre alle wesentlichen Texte und Textstellen betrachtet, in denen Arendt wörtlich von Verantwortung spricht. Diese vornehmlich philologische Textarbeit stellt die Grundlage für eine philosophische Diskussion dar, die in dem Artikel nur angerissen werden kann, indem das jeweilige Verantwortungskonzept auf Kohärenzen mit den anderen Texten kritisch reflektiert wird. Insbesondere Arendts Ausführungen in der Vita activa sind für mein Konzept der doppelten Daseinsverantwortung, das ich später in meiner Dissertation entwickelt habe, von großer Relevanz.
Von 2009 bis 2013 habe ich im Rahmen des Graduiertenkollegs Verfassung jenseits des Staates: Von der europäischen zur globalen Rechtsgemeinschaft? an der HU promoviert, betreut durch Volker Gerhardt und Rahel Jaeggi. In meiner Dissertation – Verantwortung als Begriff, Fähigkeit, Aufgabe. Eine Drei-Ebenen-Analyse (Springer 2014) – geht es darum, aus einer etymologischen Minimaldefinition von Verantwortung alle Merkmale zu einer Begriffsbestimmung abzuleiten. Nur in den Kontexten, in denen alle Relationselemente der Verantwortung voll definiert sind, ist klar, was Verantwortung heißt. Eine reine Auseinandersetzung mit dem Wort ist jedoch nicht hinreichend für ein Verständnis von Verantwortung in einem gegebenen Moment. Das Phänomen ist im Ganzen als Begriff, als Fähigkeit und als Aufgabe zu erfassen. Vor diesem Programmhintergrund lautet die zentrale Frage meiner Dissertation: Wie kann das Konglomerat aus Begriff und Begriffsgebrauch, dem Wissen über verantwortliches Handeln und über die Funktion von Rollen sowie der direkten Anschauung einer Situation und dem spontanen Handeln aus dieser Situation heraus, in der nach Verantwortung gefragt wird, uns zur Identifizierung der Kontexte dienlich sein, in denen es Sinn macht, von Verantwortung zu sprechen?
Nach meiner Verteidigung im Februar 2013 bin ich im April desselben Jahres an die Christian-Albrechts-Universität Kiel zu Ludger Heidbrink gelangt. Mit ihm und Claus Langbehn publiziere ich gerade das Handbuch Verantwortung bei Springer. Doch durch meine zeitgleiche Zusammenarbeit mit Catrin Misselhorn an der Universität Stuttgart konnte ich die noch recht junge philosophische Bereichsdisziplin der Roboterethik für mich entdecken und hierüber den weiteren Horizont der Technikphilosophie.
Für Verantwortung interessiere ich mich immer noch sehr – v.a. im Bereich der Technik wie bspw. in unserem Umgang mit den neuen Medien und in der Mensch-Maschine-Interaktion. Ich denke, dass sich unser traditionelles Verständnis von Verantwortung gegenwärtig vor einige Herausforderungen gestellt sieht – u.a. deshalb, da mit dem vergangenen Jahrhundert neue potenzielle Anwärter_innen in die Arena der zur Verantwortung potenziell angesprochenen Wesen traten: Roboter. Daher schreibe ich gerade viel zur Verantwortung und Roboterethik und plane mit Catrin Misselhorn ein Kompendium zur Roboterethik bei Metzler.
Mich faszinieren Vervollkommnungs- und Überwindungstheorien des Menschen, was meine Auseinandersetzung mit den Strömungen des Trans- und Posthumanismus erklärt. Es handelt sich dabei um zwei (bzw. drei) Bewegungen des ausgehenden 20. Jahrhunderts, die Diskurse aus Philosophie, Sozial- und Kulturwissenschaften, Informatik und KI-Forschung vereinen und sich an der Grenze von philosophischer Anthropologie und Technikphilosophie verorten lassen. Der Transhumanismus will den Menschen optimieren. Der technologische Posthumanismus hingegen zielt auf eine Überwindung des Menschen in der Erschaffung einer artifiziellen Alterität. Der kritische Posthumanismus schließlich bricht durch die Hinterfragung traditioneller Kategorien mit unserem humanistischen Verständnis vom Menschen. Ich sehe insbesondere den Transhumanismus mit seinen kapitalistischen Besitz- und Kontrollbestrebungen sowie den technologischen Posthumanismus eines Ray Kurzweil mit seinem cartesianischen Geist-Körper-Dualismus und seiner Leibverachtung ausnehmend kritisch, was ich bereits in einigen kleineren Publikationen diskutiert habe.
Ich verstehe mich als kritische Posthumanistin in der Tradition von Haraway, Barad, Wolfe, Braidotti und Latour, wobei man hier mit guten Gründen nur schwer von einer einheitlichen Schule sprechen kann. In meiner Einführung in den Trans- und Posthumanismus arbeite ich gegenwärtig die Elemente des ausnehmend heterogenen Denkens kritischer Posthumanist_innen heraus. Diese Publikation lässt sich als eine Vorstudie zu meinem Habilitationsprojekt begreifen, in dem ich eine eigene Theorie kritisch posthumanistischer Reflexion vorstellen und damit an Arendt, die selbst keine Posthumanistin ist, zweierlei zeigen möchte: zum einen, dass einige für ihr Schaffen fundamentalen Aspekte auch für den kritischen Posthumanismus treibende Momente darstellen und zum anderen, dass Arendt auf einige Herausforderungen, mit denen kritische Posthumanist_innen ringen, eine Antwort geben kann.
Für weitere Informationen: http://philtech.univie.ac.at/team/janina-loh-nee-sombetzki/ und https://univie.academia.edu/JaninaSombetzki
Für Kontakt und Rückfragen: janina.loh@univie.ac.at