Einstellungsverfahren/ Berufungskommissionen

Bewerbungs- und Berufungsverfahren sind Prozeduren, in denen “stereotype threat” oder implizite Vorannahmen zu einem wirksamen Ausschlussmechanismus werden können, der unterrepräsentierten Gruppen allgemein und Frauen im Speziellen den Erfolg erschwert. Zudem sind Berufungen mehrstufige Verfahren; um das Ziel der Geschlechtergerechtigkeit umzusetzen, muss auf diesen Stufen Unterschiedliches beachtet werden.

Freigabe der Professur, Festlegung der Denomination, Ausschreibungstext und Ausschreibung: Strategien

Auf dieser Stufe werden wichtige Weichenstellungen getroffen. Denn je umfassender die Denomination der Professur, desto mehr Bewerber_innen werden angesprochen. Abhängig von der thematischen Ausrichtung und Gehaltsstufe (W1, W2, W3) und der Gewichtung der Aufgaben („Forschungsprofessur“ vs. verstärkte Einbindung in die Lehre) werden unterschiedliche Bewerber_innen angesprochen. Hierbei sind beispielsweise folgende Regelungen wünschenswert:

  • Frei werdende Professuren mit möglichst breiter Denomination neu ausschreiben; die thematische Zuschreibung auf eine bestimmte Person sollte vermieden werden.
  • Pro-aktive Berufungsverfahren vermeiden, sofern nur Männer in Frage zu kommen scheinen.
  • Themengebiete, in denen aktuell insbesondere Frauen arbeiten (etwa feministische Philosophie), bei der Ausschreibung mitberücksichtigen.
  • Im Vorfeld ermitteln, ob es mit Blick auf die auszuschreibende Denomination eher Junior- oder Senior-Kandidatinnen gibt, sodass die Gehaltsstufe und Aufgabengewichtung entsprechend angepasst werden kann.
  • Die freiwerdende Stelle möglichst früh und sowohl über nationale als auch internationale Verteiler ausschreiben. Neben klassischen Ausschreibungsorten (wie dem Stellenmarkt der ZEIT oder der Deutschen Universitätszeitung DUZ) sollten unbedingt auch elektronische Verteiler bedient werden. Dabei sind insbesondere Verteiler von Gesellschaften zu berücksichtigen, die sich mit Fragen der Geschlechtergerechtigkeit beschäftigen (wie etwa SWIP Germany).
  • Die Ausschreibung sollte neben dem, was rechtlich vorgeschrieben ist, eine explizite Festlegung auf das Ziel der Geschlechtergerechtigkeit enthalten (etwa „Die Fakultät will den Anteil der Frauen in Forschung und Lehre zu erhöhen. Daher werden Frauen explizit dazu aufgefordert, sich zu bewerben“).

Anmerkung: Im Vorfeld der Ausschreibung kann aktiv national und international nach geeigneten Kandidatinnen gesucht werden; diese können dann explizit dazu aufgefordert werden, sich zu bewerben. Das Vorgehen bei/das Ergebnis dieser aktiven Suche sollte im Protokoll der Berufungskommission festgehalten werden.

Bildung der Berufungskommission: Strategien
Es wäre wünschenswert, wenn bei der Bildung der Berufungskommission darauf geachtet wird, dass

  • neben der Gleichstellungs-/Frauenbeauftragten mindestens eine Professorin mit Stimmrecht Mitglied ist. Hat die Gleichstellungs-/Frauenbeauftragte kein Stimmrecht, sollten neben ihr mindestens zwei Professorinnen Mitglieder der Kommission sein. Denn sowohl für potentielle Bewerberinnen als auch für die weiblichen Mitglieder der Kommission sollte Solo-Status vermieden werden.
  • externe Mitglieder realistischerweise anreisen können—insbesondere, wenn nur über externe Mitglieder sichergestellt wird, dass ausreichend Frauen in der Kommission sitzen.
  • die Mitglieder der Kommission nicht zu sehr mit anderen Ämtern der akademischen Selbstverwaltung belastet sind. Dies muss insbesondere bei der Auswahl der weiblichen Mitglieder berücksichtigt werden, da diese häufig viel Gremienarbeit leisten, weil es aktuell noch weniger Frauen als Männer auf akademischen Posten gibt.
  • die Mitglieder ein Interesse an und die Fähigkeit zu kooperativer Zusammenarbeit haben.
  • die Vorsitzende der Kommission das institutionelle Standing hat, die weiteren Mitglieder zu kooperativer Zusammenarbeit anzuhalten.
  • die Frauenbeauftragte nicht die Rolle einer Statistin hat, sondern dass ihre Stellungnahme von zentraler Relevanz ist.

Festlegung der Auswahlkriterien: Strategien

Die Auswahlkriterien legen fest, welche Kandidat_innen für die ausgeschriebene Professur in Frage kommen werden. Dabei ist zu beachten, dass es unter den aktuellen Umständen für Frauen schwerer ist als für Männer, bestimmte Auswahlkriterien umfassend zu erfüllen. Aus naturwissenschaftlichen Bereichen mit ähnlich niedrigem Fraunanteil ist bekannt, dass strukturelle Benachteiligung und permanente stereotype Bedrohungen die Produktivität von Frauen einschränken können, was insbesondere in verminderten Publikationszahlen zum Ausdruck kommen kann. Frauen werden seltener als Beitragende zu Sammelbänden und Vortragende für Konferenzen angefragt, ihr biologisches und ihr akademisches Alter können wegen Phasen der Familienarbeit auseinanderfallen und aufgrund der noch vorherrschenden traditionellen Aufteilung der Familienarbeit sind internationale Forschungsaufenthalte für Frauen schwieriger zu organisieren.

Daher ist es wünschenswert, wenn die Auswahlkriterien

  • Gender-sensibel gewählt und ausgelegt werden. Nicht die Anzahl der wissenschaftlichen Publikationen und Vorträge muss berücksichtigt werden, sondern deren Qualität (die etwa in Abhängigkeit von Publikations-/ Vortragsort ermittelt werden kann); bei der Bewertung der wissenschaftlichen Produktivität im Verhältnis zum biologischen Alter müssen Phasen der Familienarbeit verrechnet werden, d.h. das so genannte akademische Alter muss berücksichtigt werden; als Internationalität gelten nicht nur Forschungsaufenthalte im Ausland, sondern auch Kooperationen mit internationalen Partnern.
  • festgelegt werden, bevor die ersten Bewerbungen gesichtet worden sind. Andernfalls ist nicht auszuschließen, dass die Kenntnis der Bewerberlage die Festlegung der Kriterien beeinflusst. Dabei müssen die Auswahlkriterien den Ausschreibungstext inhaltlich aufgreifen.
  • konkret genug gefasst werden, dass implizite Vorurteile bei der Bewertung der Kandidat_innen möglichst wenig Einfluss entwickeln können. Es reicht bspw. nicht zu fordern, dass die Kandidat_innen über „einschlägige Publikationen zum Themengebiet“ verfügen; stattdessen ist bspw. zu klären: Gelten Monographien ebenso als einschlägige Publikation wie Beiträge in Sammelbänden oder Zeitschriftenartikel? Sollen Kandidat_innen das Themengebiet aus einer bestimmten Perspektive betrachten (historisch? im Stile der analytischen oder der kontinentalen Philosophie? gemäß einer bestimmten philosophischen Schule, etwa der Phänomenologie, der kritischen Theorie o.ä.?) oder sind alle philosophischen Vorgehensweisen gleichermaßen akzeptiert?
  • offen genug gefasst werden, sodass die Gruppe der möglichen Kandidat_innen nicht unzulässig reduziert wird. Die thematische Zuschreibung auf eine bestimmte Person sollte vermieden werden.
  • spezifizieren, ob eine klassische Habilitation gefordert oder welche Leistungen als äquivalent angesehen werden. Für letzteres sind die Richtlinien der jeweiligen Hochschule zu berücksichtigen, ebenso wie der erste in dieser Rubrik aufgeführte Punkt.

Auswahl der Kandidat_innen für die Bewerbungsvorträge: Strategien
Der Einfluss von impliziten Vorurteilen und Bewertungsschemata auf unsere Entscheidungen hängt unter anderem davon ab, wie viel Zeit wir für eine Entscheidung haben und wie kompetent wir uns fühlen, diese zu treffen. Deswegen sollten die Sichtung der Bewerbungsunterlagen und die Auswahl der Kandidat_innen für die Bewerbungsvorträge von kompetenten Personen vorgenommen werden und nicht unter Zeitdruck geschehen.

Oft erstellen die Mitarbeiter_innen des Dekanats oder der Geschäftsstelle eine Synopse, die alle eingegangenen Bewerbungsunterlagen zusammenfasst. Die Kriterien, nach denen sie die Bewerbungsunterlagen bewerten, sollten von der Berufungskommission beschlossen worden sein, bevor die ersten Unterlagen gesichtet werden. Es sollte nicht Aufgabe der Mitarbeiter_innen aus der Verwaltung sein, aus der Publikations-, Vortrags-, Auszeichnungs- und Drittmittelliste der Kandidat_innen relevante Elemente auszuwählen. Mögliche Kriterien für die Synopse sind: Name, Titel, Titel Promotion, Titel Habilitation oder äquivalente Leistung, derzeitige Position, Anzahl/ Alter Kinder.

Außerdem ist es wünschenswert, wenn bei der Diskussion der Unterlagen/ Auswahl der Kandidat_innen durch die Kommission

  • auf jede Bewerbung ausreichend Zeit verwendet wird, um dem Einfluss von impliziten Vorurteilen und Bewertungsschemata entgegenzuwirken. Alle Bewertungen sollten nachvollziehbar begründet und die Begründungen im Protokoll festgehalten werden.
  • die Vorsitzende aktiv dafür sorgt, dass alle Mitglieder gehört und dass keinem Mitglied besonders viel/ besonders wenig Sprechzeit eingeräumt wird. Zudem sollte die Vorsitzende kontinuierlich von allen Mitgliedern der Kommission kollegialen, kooperativen Stil einfordern.
  • ausschließlich auf die im Vorfeld festgelegten Kriterien zurückgegriffen und diese einheitlich angewendet werden.
  • die Vorsitzende alle Mitglieder dazu auffordert, mitzuteilen, ob sie mit Bewerber_innen—etwa durch frühere oder laufende Kooperationen—bekannt sind. Dabei ist aber zu beachten, dass die persönliche Bekanntschaft mit einer Kandidat_in deren Bewertung durch ein Kommissionsmitglied nicht verzerren muss.
  • vermieden wird, nur eine Frau für die Bewerbungsvorträge auszuwählen, damit diese nicht Solo-Status hat. Zudem sollte vermieden werden, dass keine Frau eingeladen wird.

Ist die Anzahl der Bewerbungen von Kandidatinnen zu gering, muss die Kommission prüfen, ob die Ausschreibung inhaltlich zu eng/unzulässig gegendered war und ob im Vorfeld der Ausschreibung ausreichend nach geeigneten nationalen und internationalen Kandidatinnen gesucht wurde und diese explizit zur Bewerbung aufgefordert wurden.

Zusätzlich ist es wünschenswert, diejenigen Kandidat_innen, die nicht zu den Bewerbungsvorträgen eingeladen werden, zeitnah darüber zu informieren.

Abhalten der Bewerbungsvorträge: Strategien
Die Bewerbungsvorträge sollen den Kandidat_innen die Möglichkeit geben, ihr akademisches Werk zu präsentieren und einen persönlichen Eindruck von der einladenden Fakultät zu erhalten.

Daher ist es wünschenswert, wenn

  • alle eingeladenen Bewerber_innen frühzeitig angeschrieben werden, mit allen relevanten Informationen: Wird neben dem Probevortag auch eine Lehrprobe erwartet? Welche technische Ausstattung kann für den Vortrag verwendet werden? etc.
  • während des Vortrags, der anschließenden Diskussion und des Kommissionsgesprächs auf ein angenehmes Arbeitsklima geachtet wird. Die Bewerber_innen sind keine Studierenden, sondern potentielle Kolleg_innen, und „Vorsingen“ ist keine Qualifikationsprüfung.
  • insbesondere darauf geachtet wird, dass die Situation keinen „stereotype threat“ hervorruft. Kandidat_innen sollten also weder explizit noch implizit darauf hingewiesen werden, dass sie zu einer im akademischen Betrieb unterrepräsentierten Gruppe gehören (Kommissionsmitglieder sollten eine Bewerberin bspw. nicht darauf hinweisen, dass nur wenige Frauen im fraglichen Forschungsfeld reüssieren, oder sich nach den Kindern der Bewerberin erkundigen).
  • alle Bewerber_innen gleich lange Zeit bekommen, ihre Arbeit vorzustellen. Dies gilt sowohl für Vortrag, Diskussion und Kommissionsgespräch, aber auch für etwaige weitere Gesprächszeiten im Umfeld der Bewerbungsvorträge (bspw. sollte die Kommission nicht nur mit einigen Bewerber_innen essen gehen). Zudem sollte für Vortrag, Diskussion und Kommissionsgespräch ausreichend Zeit eingeplant werden, um den Einfluss von impliziten Vorurteilen und Bewertungsschemata zu minimieren.
  • allen Kandidat_innen im Kommissionsgespräch die gleichen Fragen gestellt werden, damit ihre Antworten vergleichbar sind. Bei den Fragen—etwa nach Lehrkonzept, geplanten Forschungsprojekten etc.—muss wiederum berücksichtigt werden, ob Männer und Frauen in den angesprochenen Themengebieten aufgrund struktureller Bedingungen unterschiedlich leicht reüssieren können. Fragen, die unzulässig gegendered sind, dürfen nicht gestellt werden.

Externe Gutachten: Strategien
Die externen Gutachten erweitern das Meinungsspektrum der Kommission und gehen in die Reihung der Kandidat_innen auf der Liste mit ein.

Daher ist es von Vorteil, wenn

  • die externen Gutachter_innen vor dem Eingang der Bewerbungen festgelegt werden. Die Wahl der Gutachter_innen sollte thematisch gerechtfertigt und diese Rechtfertigung im Protokoll festgehalten werden.
  • bei der Wahl der Gutachter_innen Frauen berücksichtigt werden.
  • im Vorfeld festgelegt wird, wie viel Gewicht den externen Gutachten im weiteren Verfahren zugebilligt wird. Denn externe Gutachten sollen nicht nur dazu dienen, in der Kommission bereits bestehende Meinungen zu unterstützen, sondern eigenständiges Gewicht haben.
  • den extern Gutachtenden keine vorläufige Reihung der Kandidat_innen mitgeteilt wird, die sie bewerten sollen.

Abschließende Beratung, Festlegung der Liste, Berufung: Strategie
Wie schon bei der Auswahl der Kandidat_innen für die Bewerbungsvorträge ist es wünschenswert, wenn die Kommission

  • sich genug Zeit nimmt für die abschließende Beratung und bei der Festlegung der Liste.
  • die Vorsitzende der Kommission aktiv dafür sorgt, dass alle Mitglieder gehört und dass keinem Mitglied besonders viel/ besonders wenig Sprechzeit eingeräumt wird. Zudem sollte die Vorsitzende kontinuierlich von allen Mitgliedern der Kommission kollegialen, kooperativen Stil einfordern.
  • diejenigen Kandidat_innen, die nicht auf die Liste aufgenommen werden, zeitnah darüber informiert.
  • diejenigen Kandidat_innen, die auf die Liste aufgenommen werden, zeitnah informiert, dass das Verfahren noch läuft und sie noch im Rennen sind. Sobald das Verfahren abgeschlossen ist, sollten diejenigen Kandidat_innen, die ausgeschieden sind, darüber informiert werden.